Die Chronik der Drachenlanze 5 + 6
bekommen, mußte sie den kleinen Bruder töten, der alles über die Fechtkunst von ihr gelernt hatte. Sie würde seinen zerbrechlichen Zwillingsbruder töten müssen. Sie würde den Mann töten müssen, den sie – einst – geliebt hatte. Dann sah Tanis ihre Augen kalt werden, und er schüttelte vor Verzweiflung den Kopf. Es spielte keine Rolle. Sie würde ihre Brüder töten, sie würde ihn töten. Tanis erinnerte sich an ihre Worte: »Wenn wir Berem erwischen, liegt ganz Krynn uns zu Füßen. Die Dunkle Königin wird uns so reich belohnen, wie wir es uns nie erträumt haben.«
Kitiara zeigte auf Berem und lockerte ihren Griff. Mit einem grausamen Kreischen bereitete sich Skie auf den Sturzflug vor. Aber Kitiaras Zögern erwies sich als verhängnisvoll. Berem, der sie unentwegt ignorierte, hatte das Schiff tiefer in das Zentrum des Sturms gelenkt. Der Wind heulte und riß am Takelwerk. Wellen stürzten über den Bug. Der Regen peitschte herab wie Messer, und Hagelkörner häuften sich auf dem Deck und überzogen es mit einer Eisschicht.
Plötzlich war der Drache in Schwierigkeiten. Er wurde von einer Windbö getroffen, dann wieder. Skies Flügel schlugen wild, als eine Bö nach der anderen auf ihn eintrommelte. Der Hagel trommelte auf seinen Kopf und drohte sich durch die ledernen Flügel zu reißen. Einzig der eiserne Wille ihrer Herrin hielt Skie davon ab, diesem gefährlichen Sturm zu entfliehen und in die Sicherheit zu fliegen.
Tanis sah, wie Kitiara wütend auf Berem zeigte. Er sah, wie
Skie einen kühnen Versuch unternahm, sich dem Steuermann zu nähern.
Dann traf eine Windbö das Schiff. Eine Welle brandete über sie. Weißschäumendes Wasser stürzte auf sie nieder, drückte die Männer zu Boden, schleuderte sie über das Deck. Das Schiff bekam Schlagseite. Alle hielten sich an dem fest, was sie fassen konnten – Taue, Netze, alles, um nicht über Bord gespült zu werden.
Berem kämpfte mit dem Steuer, das wie lebendig in seinen Händen hüpfte. Segelstangen zerbrachen, Männer verschwanden angstvoll schreiend im Blutmeer. Dann richtete sich das Schiff langsam wieder auf, sein Holz ächzte. Tanis sah schnell hoch.
Der Drache – und Kitiara – war verschwunden.
Maquesta, von der Drachenangst befreit, sprang tatkräftig auf, entschlossen, ihr untergehendes Schiff zu retten. Ihre Befehle schreiend, stürzte sie nach vorn und stolperte in Tika.
»Geht nach unten, ihr Landratten!« schrie Maquesta Tanis wütend zu. »Nimm deine Freunde und geh nach unten! Ihr steht uns im Weg! Geht in meine Kabine.«
Betäubt und abgestumpft konnte Tanis nur nicken. Instinktiv, als wäre er in einem Traum, führte er die anderen nach unten.
Der gehetzte Blick in Caramons Augen bohrte sich in sein Herz, als der Krieger mit seinem Bruder im Arm an ihm vorbeistolperte. Raistlins goldene Augen überfluteten ihn wie eine Flamme, die seine Seele verbrannte. Dann waren sie an ihm vorbei, taumelten in die kleine Kabine, die bebte und zitterte und in der sie herumwirbelten wie Stoffpuppen.
Tanis wartete, bis alle in der winzigen Kabine waren, dann ließ er sich gegen die Holztür fallen, unfähig, sich umzudrehen, unfähig, sie anzusehen. Er hatte den gehetzten Blick in Caramons Augen gesehen, als der Mann an ihm vorbeigetaumelt war, er hatte das frohlockende Aufblitzen in Raistlins Augen gesehen. Er hörte Goldmond leise weinen und wünschte, er könnte auf der Stelle sterben.
Aber es sollte nicht so sein. Langsam drehte er sich um. Flußwind stand neben Goldmond, sein Gesicht war düster und grüblerisch. Tika kaute auf ihren Lippen, Tränen flossen über ihre Wangen. Tanis blieb an der Tür stehen und starrte stumm auf seine Freunde. Lange Zeit sagte niemand ein Wort. Nur der Sturm war zu hören und die Wellen, die auf das Deck brachen. Wasser tröpfelte auf sie herab. Sie waren durchnäßt und froren und zitterten vor Angst und vor Jammer und Bestürzung.
»Es... es tut mir leid«, begann Tanis und leckte über seine salzigen Lippen. Seine Kehle schmerzte, er konnte kaum sprechen. »Ich... ich wollte es euch sagen...«
»Das also hast du in diesen vier Tagen gemacht«, sagte Caramon mit sanfter, leiser Stimme. »Mit unserer Schwester warst du zusammen. Unserer Schwester, der Drachenfürstin!«
Tanis ließ den Kopf hängen. Eine neue Welle ließ ihn in Maquestas Schreibtisch taumeln, der am Boden festgeschraubt war. Er fing sich wieder und schob sich langsam wieder zurück. Der Halb-Elf hatte in seinem Leben
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