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Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition)

Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition)

Titel: Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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wird dich hören und zurückheulen.«
    Aber Wolf heulte nicht zurück, und Torak befürchtete bereits, dass er die Stimme seines Rudelgefährten nie mehr vernehmen würde. Sie befanden sich im Tal des Rotwassers, wo der Bärendämon damals seinen Vater getötet hatte. Vielleicht war auch Wolf hier gestorben.
    Am frühen Nachmittag lichteten sich die Bäume. Ein rauer Wind fuhr in die Äste und schüttelte erbarmungslos die Blätter herab. Es war der Wind der Kahlen Berge. Sie näherten sich dem Saum des Waldes.
    Schließlich erreichten sie einen Hain aus zersplitterten Kiefern. An einem Findling hingen Eiszapfen, lang wie Speere.
    Unter dem Findling fanden sie Wolf.

Kapitel 12

    Wolf lebte, war dem Tod aber sehr nahe.
    Sein Fell war eisverkrustet, der gefrorene Atem lag wie eine weiße Decke auf seiner Schnauze. Als Torak die Axt schwang und die spitzen Eiszapfen klirrend vom Stein sprangen, schlug Wolf die Augen auf. Renn erschrak. Sein Blick war stumpf und wollte sich auch beim Anblick seines Rudelgefährten nicht aufhellen.
    Renn sah zu, wie Torak zu Wolf unter den Felsen kroch und ihn mit Blicken, Berührungen und Winseln zu trösten suchte. Wolfs Schwanz zuckte nur ganz schwach.
    »Wir müssen ihn wieder warm kriegen«, sagte Torak und klaubte Eisbrocken aus Wolfs Fell.
    »Ich wecke ein Feuer«, erklärte Renn, »und du baust einen Unterschlupf um uns herum.«
    Schweigend machten sie sich an die Arbeit. Torak schleifte umgeknickte junge Bäume heran, hackte das Eis vom Stamm und lehnte sie dicht nebeneinander gegen den Felsen, bis eine Art Hütte entstand; Renn weckte unterdessen ein widerspenstig qualmendes Feuer. Als es allmählich warm wurde, stiegen Dampfwolken aus Wolfs Fell auf, doch sein Blick blieb unbeteiligt und die bernsteinfarbenen Augen waren wie erloschen.
    Renn legte einen Lachsfladen neben seine Schnauze. Er rührte sich nicht. Beunruhigt versuchte sie, ihn mit ein paar getrockneten Preiselbeeren zu locken. Er rührte sich immer noch nicht. Und als die beiden Raben hereinstelzten und ihm die Beeren frech vor der Nase wegschnappten, zuckte nicht einmal eines seiner Barthaare.
    »Dem Geist sei Dank, dass wir ihn gerade noch rechtzeitig gefunden haben«, sagte Torak und zog die Tür des Unterschlupfes hinter sich zu. »Wenn er erst warm geworden ist, geht es ihm bestimmt wieder besser.«
    Renn biss sich auf die Lippen. »Gib mir dein Medizinhorn. Ich versuche es mit einer Heilzeremonie.«
    Sie spürte Toraks aufmerksamen Blick auf sich ruhen, als sie sich Erdblut in die Hand schüttete und es, eine Beschwörungsformel murmelnd, auf Wolfs Stirn verrieb.
    »Bald geht es ihm besser«, sagte Torak. »Nicht wahr, Renn?«
    Sie schwieg. Wolf war bis in seine Seelen hinein krank vor Kummer und daran konnte man sterben.
    Als der Mond aufging, krochen sie in ihre Schlafsäcke. Torak legte tröstend einen Arm um Wolf, genau so, wie Wolf ihn früher immer allein durch seine Nähe getröstet hatte. Hin und wieder zuckte Wolfs Schwanz, aber Renn ahnte, dass er im Begriff war aufzugeben.
    Der nächste Morgen war eisig und klar, ohne das geringste Anzeichen von Tauwetter. Als sich das erste Licht in den Unterschlupf stahl, stellte Renn mit einem Anflug von Panik fest, dass es Wolf noch nicht besser ging.
    Torak sah es ebenfalls, sagte aber nichts. Vermutlich konnte er sich ein Leben ohne Wolf einfach nicht vorstellen. Für ihn musste es so sein, als starrte er in einen tiefen schaurigen Abgrund.
    Da Renn der knappen Vorräte wegen etwas beunruhigt war, wollte sie einige Fallen auslegen. Torak brachte es nicht übers Herz, Wolf allein zu lassen, also machte sie sich ohne ihn an die Arbeit. Aus Angst vor Tokoroths hielt sie sich stets in der Nähe des Unterschlupfes auf. Nach ihrer Rückkehr versuchte sie es mit jeder Heilzeremonie, die sie kannte. Wolf ließ alles teilnahmslos über sich ergehen. Er zuckte nicht einmal mit den Ohren. Ihm war das alles gleichgültig.
    »Mehr kann ich nicht tun«, sagte Renn schließlich.
    »Aber es muss doch noch etwas geben«, erwiderte Torak.
    »Nichts, was ich kenne.«
    »Aber es geht ihm doch schon besser als gestern. Da konnte er sich vor Schwäche kaum bewegen.«
    »Torak, du weißt genauso gut wie ich, was mit ihm geschieht.«
    Er blickte sie fassungslos an.
    »Er hat doch immer noch uns«, beharrte er. »Wir gehören auch zu seinem Rudel.«
    Torak hatte recht. Aber würde Wolf allein um ihretwillen weiterleben wollen?
    In der Dämmerung ging Renn hinaus und sah nach den

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