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Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition)

Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition)

Titel: Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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Fallen. Das Jagdglück war ihr treu geblieben; in einer Falle lag ein steif gefrorener Hase. Das musste ein gutes Zeichen sein. Doch auf dem Rückweg entdeckte sie Spuren. Kleine Spuren. Menschliche Spuren. Spuren mit Klauen.
    Torak stand vor dem Unterschlupf. Seine Lippen bewegten sich in stummem Gebet, und einen schrecklichen Augenblick lang befürchtete sie schon, Wolf sei gestorben. Dann fiel ihr Blick auf eine dunkle Locke, die an einem Ast festgebunden war. Um Wolfs Leben zu retten, bot Torak dem Wald einen Teil von sich als Opfer dar.
    »Torak«, sagte sie sanft. »Das darfst du nicht tun.« Sie streckte die Hand aus, um die Locke abzuwickeln, aber Torak stieß sie beiseite.
    »Was tust du da?«, schrie er. »Das ist für Wolf!«
    »Ich weiß, aber denk doch mal nach! Dein Haar enthält etwas von deiner Weltseele. Hier in der Nähe gibt es Tokoroths. Wenn ihnen eine Locke von dir in die Hände fällt, kann das schreckliche Folgen haben.«
    In grimmigem Schweigen sah er zu, wie sie die Haarsträhne löste und in ihrem Medizinbeutel verstaute. »Du bist davon überzeugt, dass Wolf sterben wird, nicht wahr?«, stellte er nach einer Weile fest. Es klang wie eine Anklage.
    »Wenn er wirklich nicht mehr leben will«, sagte sie leise, »kann ihn kein Zauber, kein Gebet und kein Opfer dazu bringen.«
    Zornig drehte Torak ihr den Rücken zu.
    Mit einem flauen Gefühl im Magen verstaute sie den Hasen im Unterschlupf, fütterte das Feuer, streichelte Wolf und bat Rip und Rek, auf ihn aufzupassen. Anschließend ging sie hinaus und zog Schutzlinien rings um das Lager, die die Tokoroths fernhalten sollten.
     
    Was Wolf betraf, hatte Renn recht, und Torak hasste sie beinahe deswegen.
    Noch furchtbarer fand er allerdings, was mit seinem unglücklichen Rudelgefährten geschah. Er hasste es, tatenlos zusehen zu müssen. Er hasste die Adlereule. Insbesondere aber hasste er Eostra.
    In der Nacht schreckte er immer wieder aus dem Schlaf. Jedes Mal, wenn er erwachte, starrte Wolf dumpf ins Feuer. Ich bin hier, Rudelgefährte , sagte Torak.
    Ich vermisse sie , gab Wolf zurück.
    Ich weiß. Ich bin bei dir.
    Torak vergrub die Finger tief in Wolfs warmem Brustfell und spürte den Herzschlag. Er wollte so sehr, dass dieses Herz weiterschlug.
    Als Torak erneut erwacht, ist alles ringsum pechschwarz. Wolf ist verschwunden. Von Renn ist ebenfalls keine Spur zu sehen. Er ist allein.
    Er geht, ohne den Boden unter den Füßen zu spüren. Ihm ist kalt, obwohl er den Wind in seinem Gesicht nicht spürt. Er hört auch nicht die Bäume knarren. Es ist so dunkel, dass er die Hand vor Augen nicht sehen kann.
    Diesmal befindet sich seine Seele nicht auf Wanderschaft, er verspürt keinen würgenden, krampfartigen Schmerz. Diesmal ist es schlimmer. Er ist immer noch er selbst, Torak, und trotzdem fehlt etwas. In ihm herrscht furchtbare, gähnende Leere.
    Er ruft nach Renn, nach Wolf, aber seine Stimme ist lautlos, sie ist in seinem Kopf gefangen. Sie kann nirgendwohin gehen. Er ist allein im Nichts.
    » Renn!« , schreit er, während er in der endlosen Dunkelheit dahintreibt. » Wolf !«
     
    Wolf erwachte mit einem Ruck.
    Das Helle-Tier-das-heiß-beißt knurrte, die Rudelgefährtin pustete im Schlaf. Groß Schwanzlos aber war verschwunden.
    Sorge um ihn packte Wolf von der Schnauze bis zum Schwanz. Groß Schwanzlos war zwar klug, aber er roch und hörte kaum etwas und war im Dunkeln so hilflos wie ein Welpe.
    Wolf drehte aufmerksam lauschend die Ohren und vernahm vor dem Bau leise Geräusche. Er hörte die Bäume im Harten Weißen Kalt beben und das Scharren der Maulwürfe, die versuchten, einen Weg aus ihren Bauen zu graben. Obwohl er seinen Rudelgefährten nicht hören konnte, spürte er, dass Groß Schwanzlos ihn brauchte.
    Wolf stieg vorsichtig über die Rudelgefährtin hinweg und verließ den Bau.
    Der Hunger machte ihn schwach, doch seine Sinne kribbelten vor Aufregung.
    Er hob witternd die Schnauze. Sein Fell sträubte sich, als ihm Dämonengeruch in die Nase stieg.
    Vorsichtig pirschte Wolf über den brüchigen Boden.
    Groß Schwanzlos stand ein paar Sprünge weit entfernt unter einer Kiefer. Er schwankte hin und her. Trotz der weit aufgerissenen Augen erkannte er nichts, und Wolf wusste, dass er schlief.
    Im Geäst über Groß Schwanzlos’ Kopf rührte sich ein Schatten.
    Wolf begriff sofort. Er sah den schwanzlosen Welpendämon auf einem Ast über seinem Rudelgefährten hocken. Er spürte seinen Hunger und Hass, sah die große

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