Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition)
des Sommers leuchteten purpurn unter goldblättrigen Birken und prächtigen Ebereschen. Vor dem langen Winterschlaf ließ der Wald alle Farben seiner Palette aufleuchten, als wollte er sich zum Abschied noch einmal von seiner schönsten Seite zeigen. Der Herbst hatte reiche Ernte an Nüssen und Beeren hervorgebracht, überall im Unterholz raschelten kleine Tiere, die sich daran gütlich taten. Eichelhäher hockten in den Baumkronen und zankten sich um Eicheln. Eichhörnchen waren emsig damit beschäftigt, Haselnüsse unter den Blättern zu vergraben.
Rip und Rek flogen vorbei. Sie ahmten den Ruf des Kuckucks nach und übersahen Torak geflissentlich. Die beiden nahmen ihm den überstürzten Aufbruch aus dem Rabenlager übel, denn dort waren den beiden so viele Leckerbissen zugesteckt worden, dass sie kugelrund und faul geworden waren. Das galt insbesondere für Rip. Im Frühjahr hatte er im Kampf gegen den Eichenschamanen eine Schwanzfeder eingebüßt. Die Feder war inzwischen weiß nachgewachsen und hatte ihm die Verehrung des Clans eingebracht.
Torak nahm die Raben kaum war. Er ließ Renn nur höchst ungern zurück. Sie würde ihm das nie verzeihen. Trotzdem war ihm keine andere Wahl geblieben. Seine Vision des zerstörten Lagers konnte schon bald Wirklichkeit werden. Er wollte der Eulenschamanin allein gegenübertreten. Renn durfte nicht dabei sein.
Ebenso wenig wie Wolf.
Darum hatte er einen Weg gewählt, der nicht direkt zu den Bergen führte. Der schnellste Weg hätte nach Südosten über den Eschenfluss und das Flinkwasser hoch zu den Kahlen Bergen geführt. Stattdessen ging er nun nach Nordosten auf den Pferdesprung zu. Dorthin, auf einen Bergkamm über dem Fluss, hatten Wolf und Dunkelfell ihre Jungen gebracht.
Torak wollte Abschied von ihnen nehmen.
Der Ruheplatz befand sich auf einer flachen Stelle hoch oben auf der Klippe und war von einer umgestürzten Esche und dichtem Brombeergebüsch geschützt. Torak traf erst spät am Nachmittag dort ein und wurde von den Welpen und Dunkelfell stürmisch begrüßt. Wolf war unterwegs auf der Jagd.
Torak war erleichtert. Nun musste er sich nur noch einen Unterschlupf für die Nacht bauen, um auf seinen Rudelgefährten zu warten, und konnte den Abschied auf den kommenden Tag verschieben.
Als es dämmerte, weckte er ein Feuer und fertigte aus Fichtenzweigen einen kleinen Unterstand. Seine Ausrüstung hängte er weit nach oben, außer Reichweite vor allzu neugierigen kleinen Schnauzen. Bei der Arbeit kamen ihm nur zwei vorwitzige Welpen ins Gehege. Der dritte Welpe – er hatte fuchsrote Ohren gehabt und war von Renn Klick genannt worden – war im letzten Mond an einer Krankheit gestorben.
Sobald der Unterschlupf stand, zog Torak los und pflückte Brombeeren. Die Welpen begleiteten ihn: Schatten, die schwarzes Fell hatte und leidenschaftlich gern an Stiefeln kaute, und Pebble, der im vergangenen Sommer als Erster aus dem Bau aufgetaucht war und der ihn furchtlos und neugierig begrüßt hatte.
Die Brombeeren waren so reif, dass sie in Toraks Hand zerfielen und von den Welpen aufgeschleckt wurden. Schatten setzte ihm die Vorderpfoten auf die Knie und verpasste ihm einen klebrigen Wolfskuss, während Pebble mit rot gefleckter Nase kampflustig den Unterschlupf angriff. Er packte einen hervorstehenden Ast mit den Zähnen und zog so kräftig daran, dass der ganze Bau ins Wackeln geriet, woraufhin er erschrocken zu seiner Mutter zurückpreschte.
Torak sah zu, wie Dunkelfell ihre Jungen leckte, und wusste, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Die Kleinen waren erst drei Monde alt: viel zu jung für den anstrengenden Marsch in die Berge. Und Wolf würde die Kleinen um nichts in der Welt zurücklassen.
Mit diesen Gedanken kroch Torak in seinen Schlafsack.
In der frostigen Nacht war er froh um seine Winterkleidung: das rehlederne Wams und Beinlinge zum Unterziehen, eine Kapuzenjacke, besonders warme Beinlinge aus Rentierleder und Biberfellstiefel. Er hatte noch nicht lange geschlafen, als ihn aufgeregtes Winseln weckte.
Wolf war von der Jagd zurückgekehrt. Mit wedelnden Schwänzen verschlangen Dunkelfell und die Welpen die Fleischbrocken, die er für sie hochwürgte; Rip und Rek hielten in angemessener Entfernung nach Fleischresten Ausschau, die die Wölfe übersehen hatten. Aber Dunkelfell war zu schlau für die beiden; auch die Welpen, die inzwischen einige lehrreiche Erfahrungen mit den Raben gemacht hatten, wehrten das diebische Gespann
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