Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition)
Renn. Aber das konnte nicht sein.
Eostra war einen Moment von dem Rufen abgelenkt. Torak spürte, wie ihr Wille ins Wanken geriet. Nicht viel, aber es reichte aus. Er nutzte die Gelegenheit.
Seine Augen klappten auf. Er war wieder in seinem Körper. Noch immer rief jemand.
»Zerschneide die Kordel um den Feueropal! Torak! Zerschneide sie und der Zauber ist gebrochen! Damit schickst du sie alle für immer fort!«
Es war Renn. Er sah sie zwar nicht, aber im Hals des gescheckten Hundes steckte einer ihrer Pfeile.
Die Kordel. Torak spürte neue Kraft durch seinen Körper strömen. Er wusste, was er zu tun hatte.
Eilig machte er sich los und rutschte die Steinsäule hinab. Ein Hund kam aus der trüben Dunkelheit gesprungen. Er rammte ihm sein Messer in den Bauch und schlitzte ihn auf. Dann stieß er den Kadaver mit dem Fuß beiseite und stach wahllos in die Finsternis hinein. Keine Tokoroths, keine Hunde; und doch hörte er das wütende Knurren von einem wilden Kampf. Mit der freien Hand packte er einen Stein und stolperte auf den Steinhaufen zu. Renn hatte recht. Es gab einen Weg. Der Zauber konnte gebrochen, die Seelenesser für immer verbannt werden.
Warum aber war Eostra so unbeeindruckt?
Wieder wurde das Feuer erstickt, der Gesang erstarb.
Durch den wabernden Rauch hindurch spreizte sie die Flügel und rief den letzten der Ruhelosen Toten auf.
Klug wie der Wolf, der eigenwillige …
Nein! Torak wollte schreien, aber die Zunge klebte ihm am Gaumen fest. Wehrlos hörte er die Seelenesserin den geliebten Namen rufen, den er drei Sommer lang nicht mehr ausgesprochen hatte.
Einen Augenblick lang war alles still.
Die Höhle schien vom Jaulen unsichtbarer Wölfe widerzuhallen. Der tanzende Rauch hinter dem Opfertisch verdichtete sich. Eine große Gestalt wurde sichtbar.
Torak ließ sein Messer fallen. »Fa!«
Kapitel 37
Die Gestalt im Rauch war blass wie Mondschatten in einer wolkenverhangenen Nacht – aber Torak wusste trotzdem Bescheid. Er wusste es, als er dastand und zu seinem Vater aufschaute.
»Fa … Ich bin’s. Torak.«
Die toten weißen Augen blickten auf ihn herab, ohne ihn zu erkennen. Der Geist seines Vaters gehörte Eostra.
Von irgendwo rief Renn. »Zerschneide die Kordel! Schick sie für immer weg!«
Fa wegschicken? Für immer wegschicken?
Das konnte er nicht. Er war zwölf Sommer alt: verwirrt und verängstigt sah er seinen Vater verbluten. Fa, stirb nicht. Bitte stirb nicht.
Mit Tränen auf den Wangen taumelte er auf den Steinhaufen zu.
»Zerschneide die Kordel!«, rief Renn.
»Ich kann nicht«, flüsterte Torak. »Fa … ich will dich nicht noch mal verlieren.«
Er fing an zu klettern.
Er hörte das Klappern von Knochen und den Singsang der Seelenesserin. Er spürte einen plötzlichen, stechenden Schmerz im Hinterkopf und sah die Eule mit einer Strähne seines Haars in den Krallen davonfliegen. Es war nicht wichtig. Nichts war wichtig, außer Fa zu erreichen.
Er stand im beißenden Qualm vor dem Opfertisch. Dahinter sang die Maskierte, umgeben von der schemenhaften Schar der Ruhelosen Toten. Er streckte die Hand nach seinem Vater aus. Die Gestalt im Rauch reagierte nicht.
Ein Bild zuckte durch Toraks Kopf: Wie es wohl wäre, wenn Fa noch lebte … wenn sie noch immer zusammen wären und es den Feueropal nie gegeben hätte. Trauer bohrte sich wie ein Messer in sein Herz.
Aber es gab den Feueropal. Er steckte dort in der Keule und pochte wie eine offene Wunde.
Mit einem Aufschrei streckte Torak die Hand über den Opfertisch, packte die Keule und zog sie auf die Flammen zu.
Der Griff der Seelenesserin war steinern. Er war ihr nicht gewachsen. Mit der anderen Hand hob sie den Spieß und wollte zustoßen. Torak schlug mit seinem Stein zu. Der Spieß polterte zu Boden. Ein Tokoroth biss ihm in den Unterarm, doch Renns Armschutz rettete ihn. Wieder schlug er mit dem Stein zu und zerschmetterte den Schädel des Geschöpfes wie ein rohes Ei. Immer noch mit der Keule in der Hand, wehrte er sich über die Flammen hinweg gegen die Seelenesserin. Er sah ihre Augen hinter der Maske aufblitzen. Er zerrte voller Verzweiflung an der Keule, entriss sie ihr und schleuderte sie ins Feuer. Der Geruch brennender Haare brachte ihn zum Würgen, trotzdem holte er mit dem Stein aus – und zerschlug den Feueropal in blutige Scherben.
Mit einem lauten Aufschrei tauchte Eostra beide Hände in die Flammen, kratzte die Bruchstücke heraus und hielt sie in die Höhe. Der letzte Rest
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