Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)
ihre Frage und ihre Stimme klang so drohend wie ein aufsteigender Hornissenschwarm.
„Ein Mann namens Bräg hat uns all unsere Sachen abgenommen. Er war in dem Gebäude, wo wir gefangen gehalten … aber … da sind zu viele …!“ Sarn kam nicht dazu, seinen Satz zu beenden, denn der Halken schleuderte ihn zu Boden. Etwas sauste durch die Luft und erwischte an Stelle von Sarn einen unserer Mitgefangenen, der wie eine Fliege daran kleben blieb und weggerissen wurde. Es war einer der Äste des Baums, der nun wild um sich schlug. Die Erde bebte unter wuchtigen Schlägen. Erich blickte entsetzt zurück und sah, dass der ganze Baum in Bewegung war. Er bewegte sich zwar behäbig wie Seegras in den Wellen des Meeres, aber bei so vielen Ästen und Zweigen war es nur eine Frage der Zeit, bis einer von ihnen die Hürnin erwischen würde. Außerdem waren da immer noch die kleineren Bäume, die zwar still standen, aber auch nicht besonders einladend wirkten.
„ Icher, hilf mir!“, hörte ich meinen Herrn rufen und war auf der Stelle bei und in ihm. Und dann versank alles in Chaos. Als erstes erwischte es die Kamele, die zwar schneller waren als die Gefangenen, aber den Ästen auch mehr Angriffsfläche boten. Sobald auch nur ein dünner Ast sie berührte, begann er an ihnen festzuwachsen und ich konnte sehen, wie ein langer Streifen Haut von einer Kamelflanke gerissen wurde, als das Tier sich dem Griff des Baums entzog. Ich kümmerte mich nicht darum oder darumwie es den anderen erging, sondern rannte nur so schnell ich konnte, um Erich und mich zu retten. Es blieb keine Zeit mich umzuschauen, aber ich hörte Schreie, dumpfe Aufschläge und das Splittern von Holz. Und ich hörte ein markerschütterndes Stöhnen, das Erichs Knie in weiche Butter verwandeln wollte. Ich kämpfte den Instinkt in ihm nieder und rannte weiter.
Und dann rammte mich etwas von rechts. Ich rollte mich ab, kam wieder auf die Beine und sah mich einem Ziegenbock gegenüber, der mich mit gesenkten Hörnern bedrohte. Ein Blick zurück sagte mir, dass ich es fürs erste aus der Reichweite des Baumes geschafft hatte. Ich konnte mir also Zeit nehmen, mich um den Bock zu kümmern, der mich aus hasserfüllten Augen heraus anstarrte. Und er war nicht der einzige. Ein ganzes Heer von Ziegen stand zwischen den Miniaturausgaben des Dämonenbaums und funkelte mich mordlüstern an.
„Töte sie.“, zischte eine Stimme und als ich begriff, dass Sirr das gesagt hatte, fuhr auch schon eine ihrer Klingen durch den Hals des Bocks. Das verschaffte mir Zeit mich zu orientieren.
Ich hatte es aus der Reichweite des Baums geschafft so wie Sarn, Kern, der Halken und drei weitere Männer ebenfalls. Hinter uns durchpflügten die Äste des Baums weiter die Erde.
Dann blickte ich wieder nach vorn, weil unzählige Hufe den Boden erzittern ließen.
Die Ziegen stürmten auf uns zu und versuchten uns zurück in die Reichweite der Äste zu treiben. Ihre Hörner konnten uns wahrscheinlich nicht ohne weiteres töten, aber die schiere Masse würde ausreichen, um uns früher oder später zurückzutreiben.
Wir wehrten uns aus Leibeskräften und der Boden war bald getränkt vom Blut der Ziegen. Es stank nach warmem Eisen und Exkrementen. Und nach Erichs Angstschweiß.
Der rutschige Boden, die anstürmenden Ziegen und die Schwäche von Erichs Körper waren schuld daran, dass ich schließlich ausrutschte und gegen einen der kleinen Dämonenbäume stolperte. Ein spitzer Ast drang in die weiche Flanke meines Herrn ein und brach darin ab.
Ich wurde so schnell aus seinem Körper geschleudert, dass ich erst nicht begriff, was geschehen war. Ich hörte etwas brechen, sah, wie Erich zu Boden stürzte und sich mit schmerzverzerrtem Gesicht wieder aufrappelte. Das Stück Ast ragte aus seiner Seite und obwohl es abgebrochen war, konnte ich durch sein zerfetztes Hemd sehen, wie sich schwarze Fäden wie Schimmel unter seiner Haut ausbreiteten. Er schrie und versuchte den Ast herauszuziehen, aber vergeblich.
Und dann wurde er still. Lautlos sank er zu Boden und blieb dort liegen. Er atmete noch, aber nur noch ganz flach und seine Augen nahmen einen abwesenden Ausdruck an. Ich versuchte mich seiner erneut zu bemächtigen, aber das Stück dämonisches Holz war wie eine Wand, die mich nicht zu ihm durch ließ.
Der Halken hatte gesehen, wie Erich zu Boden sank und war nach wenigen Sekunden mit einem markerschütternden Wutschrei bei ihm. Er warf ihn sich über die Schulter und schlug sich mit
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