Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)
ersten Mal konnte ich ihn klar erkennen: ihn und seine schleierartigen Flossen, die ihn ohne Anstrengung durchs Wasser trugen. Und den Kopf mit dem gewaltigen Maul. Ich war so von den unzähligen spitzen Zähnen abgelenkt, dass ich erst nach einigen Momenten bemerkte, dass der Fisch keine Augen hatte. Dafür war das Maul umgeben von langen Fühlern, die wie die Schnurrhaare einer Katze nach allen Seiten ins Wasser ragten. Ohne Furcht griff Erich nach der Rückenflosse des Dämons und ließ sich von ihm tiefer in die Dunkelheit hinabziehen. Aber ich konnte noch etwas anderes sehen: Auf dem Rücken des Fisches befanden sich mehrere Kokons, in denen die schlafenden Frauen Sirocos eingehüllt waren wie Ungeborene im Bauch ihrer Mutter. Und ich wusste, dass auch dieser Dämon die Fähigkeit besaß den Frauen eine neue Gestalt zu geben und ihre Körper unter seiner Kontrolle in die Welt hinauszuschicken, wie es der Scharif mit den Knochenfrüchten machte. Aber er tat es nicht. Er behielt sie bei sich. Im Moment zumindest.
Mit einem Mal fühlte ich mich … verlassen um nicht zu sagen: verraten. Welcher Zauber veranlasste Erich so vertraut mit diesem fremden Dämon umzugehen? Warum ignorierte er mich?
Als Erich schon die Luft auszugehen begann, durchquerten wir einen gewaltigen Durchgang unter Wasser, der mit Hammer und Meißel bearbeitet worden war und stiegen danach wieder steil nach oben. Keuchend schnappte Erich nach Luft, als der Fisch mit ihm die Wasseroberfläche durchbrach.
Dann passierte eine verwirrende Anzahl von Dingen gleichzeitig:
Ich bemerkte zwei Lampen, die von zwei Gestalten am Ufer des Wassers in die Höhe gehalten wurden. Ich sah eine Reihe von Statuen, die genauso aussahen wie die Pförtner, die Brogu Erich in den Katakomben von Hornhus gezeigt hatte und ich hörte einen begeisterten Schrei, der ganz nach dem Halken klang.
Bei den beiden Gestalten mit den Lampen handelte es sich um den Ork und Sarn. Während letzterer bis auf die Haut durchnässt unschlüssig dastand, hatte sich der Halken beim Anblick des Fisches auf den Boden geworfen und stimmte einen Lobgesang auf die Ahnen an. Er war vollkommen trocken. Keiner von beiden hatte bis jetzt Erich bemerkt. Ich wollte unbedingt wissen, was mit meinem Herrn passiert war und nutzte die Chance um ihn danach zu fragen.
„ Ich bin nicht von hier.“, war die zunächst ziemlich unbefriedigende Antwort von Erich. „Ich stamme aus Deiner Welt, Icher. Aus der Welt der Dämonen. Ich habe es gesehen. Und ich weiß jetzt auch, was passiert ist, als uns die Knochenfrüchte angegriffen haben. Auf der Treppe, bevor die Wanderfalken eingetroffen sind. Ich war im Körper der Knochenfrucht …“
Bevor ich mich von der Überraschung erholen und fragen konnte, was das zu bedeuten hatte, war Erich aus dem Wasser gestiegen und hatte Sarn mit lautem Rufen auf sich aufmerksam gemacht. Das veranlasste auch den Halken in seinem Gebet inne zu halten, selbst wenn der weiße Dämon des Sees noch immer an der Wasseroberfläche schwamm und sich nicht von der Stelle bewegte. In dem Moment fiel etwas von mir ab, das mich beengt hatte. In allen Einzelheiten erinnerte ich mich wieder daran, dass ich schon einmal zusammen mit Erich in meiner Welt gewesen war. Damals auf dem Sommerfeld. Es schien mir fürchterlich lange her zu sein, dabei konnte es nicht viel länger als eine Woche zurückliegen. Aus Angst alles so schnell wieder zu vergessen, wie es mir eingefallen war, wollte ich auf der Stelle mit Erich darüber reden, aber ich fand keine Gelegenheit dazu.
„Erich! Geht es dir gut? Wie bist du hier hergekommen? Bist du uns gefolgt?“, wollte Sarn aufgeregt wissen. Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Hast du Sirr gesehen? Was ist mit ihr? Was ist mit dem Fischdämon? Hat er dich etwa hier hergebracht?“
Erich stieg vollends aus dem Wasser und atmete ein paar mal tief durch, bevor er antworten konnte. Man konnte deutlich hören, wie dabei seine Zähne aufeinander schlugen und er war ziemlich unsicher auf den Beinen.
„Sirr geht es gut. Hoffe ich zumindest. Amal hat die Kontrolle über ihren Körper übernommen. Siroco hat mit ihr eine Vision heraufbeschworen. Aber du weißt ja noch gar nichts von Amal. Sie ist ihre Schwester. Sie hat sie in Chonled … “
„ Hört mich an, Hürnin. Hört mich an Horndämonen. “, ertönte plötzlich eine Stimme aus dem Wasser. Wir zuckten zusammen und wandten uns dem Fischdämon zu. „ Hört mich an und beantwortet mir die
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