Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)
stillstand. Es gab keine weiteren Knochenfrüchte mehr. Es gab keinen Scharif mehr.
Erich sah sich einem fetten glatzköpfigen Mann gegenüber, der sorgfältig mit flüssigem Harz eine Schicht gehämmerten Goldes auf seiner Glatze befestigte.
„Der Scharif hat diese Welt verlassen.“, hörte er eine weibliche Stimme irgendwo in der Ferne sagen. „Sie gehört nun Euch, mein Meister.“
„ Dann kann mich nur noch die Rückkehr der Flamme aufhalten. Aber sie wird niemals zurückkehren, nicht wahr? Denn ihre Splitter können mir nichts anhaben. “
Bevor Erich die Antwort hören konnte, verließ ihn sämtliche Kraft und er kehrte in seinen Körper zurück, wo er bewusstlos zusammenbrach.
Der Halken war geistesgegenwärtig genug ihn aufzufangen und ihn mit beiden Armen hochzuheben wie ein kleines Kind. Gleißendes Licht flutete durch den Eingang nach Drachall. Licht, das nicht aus dieser Welt stammte.
Der Halken ging ohne zu zögern oder sich ein weiteres Mal umzusehen hindurch. Wankend folgte ihm Drigg. Erich hob schwach die Hand um zu protestieren. „Sarn …“, sagte er, aber es war nur ein Hauch. Der Halken hörte ihn nicht oder wollte ihn nicht hören.
Blendendes Licht erwartete uns auf der anderen Seite, lähmte meine Gedanken und überdeckte alle anderen Empfindungen. Obwohl ich mich nicht in Erichs Körper befand, fühlte ich etwas, das eindeutig körperlich war und für das sich nur schwer die richtigen Worte finden lassen. Wir wurden mit offenen Armen willkommen geheißen. Ich hatte das seltsame Gefühl heimzukehren an den Ort an den ich hingehörte.
Schlagartig verblasste das Gleißen und ich fand mich mit den beiden Hürnin und dem Magier in einem kleinen Talkessel wieder, der ringsum von schimmernden Kristallen umgeben war. Ich legte meinen Kopf in den Nacken, um den Himmel zu betrachten. Er war rot wie Blut und geflügelte Wesen zogen an ihm ihre Bahnen wie Glut auf verkohltem Papier. Ich war zu Hause! Und mit einem Mal erinnerte ich mich wieder an alles, was ich vergessen hatte. Ich erinnerte mich daran, wie ich dazu auserwählt worden war einem Hürnin zu dienen. Nicht etwa, weil ich dafür besonders gut geeignet schien, sondern weil ich für nichts anderes taugte. Man hatte mich ausgewählt, weil sowohl mein Körper als auch mein Geist schwach waren. Weil es leicht sein würde meine Erinnerungen auszulöschen.
Meine Erinnerungen. Mein Körper … Erst nach mehreren hastigen Atemzügen bemerkte ich, dass ich plötzlich einen besaß und sog weiter gierig die Luft in meine Lugen. Ich fühlte mich lebendig. Ich fühlte mich stark und zum erstem Mal in meinem Leben fühlte ich mich frei. Ich spürte, dass die Bande, die mich an Erich fesselten, hier zerrissen waren und dass ich gehen konnte, wohin ich wollte. Gehen? Ich konnte auf meinen eigenen Beinen gehen, aber wer wollte das schon, wenn er wie ich Flügel hatte? Ich breitete meine Schwingen aus und begann aus lauter Freude darüber, wie gut sich das anfühlte, zu lachen. Und dann sah ich Erich, Drigg und den Halken. Und mein Lachen erstarb.
Hier könnte Erichs Geschichte enden. Hier könnte meine Geschichte beginnen. Ich hätte meine Schwingen ausbreiten und mich auf ihnen in den Himmel erheben können. Ich hätte meine Heimat erneut kennen lernen und meinen eigenen Platz darin finden können. Aber wer weiß, ob es dann überhaupt eine Geschichte gegeben hätte? Keine Geschichte wird ohne Grund erzählt. Die meisten entspringen dem Bedürfnis gehört zu werden, um so zumindest für die Dauer der Erzählung das Gefühl zu haben jemandem etwas zu bedeuten. Deshalb erzählen alle Geschichten, egal welchen Stoff ein Erzähler sich erwählt, im Grunde nicht vom Ruhm großer Taten oder der Heiterkeit vergnüglicher Ereignisse, sondern von der Einsamkeit des Erzählers, über die sich nur eine dünne Brücke aus Worten spannt.
Nicht nur die Hürnin erleiden ein Trauma, wenn sie ihren Horndämon rufen. Uns Dämonen ergeht es nicht besser, wir merken es nur nicht. Vielleicht töten wir dabei nicht die Gemeinschaft, die uns jahrelang genährt hat, aber wir verlassen sie. Wir werden aus ihr herausgerissen und an einen Ort geworfen, der uns weder beherbergen noch verstehen will.
Langsam begann ich zu begreifen, was einen Dämon dazu bringen konnte seinen Herrn zu verraten und den Wunsch zu entwickeln die Welt der Menschen in Feuer und Asche versinken zu lassen. Und in dem Moment, als ich in meine Welt zurückkehrte wusste ich, dass ich davon
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