Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)
erzählen musste. Nicht um selbst zu begreifen, was passiert war oder um andere an meinen Erfahrungen teilhaben zu lassen, sondern, um eine Brücke über den Abgrund der Einsamkeit zu spannen. Ich weiß nicht, wie oft ich diese Geschichte seitdem schon wiedergegeben habe, aber ich weiß, dass ich sie jetzt zum letzten Mal erzähle. Sie wehrt sich dagegen, will weiter ihre Form verändern und sich entwickeln, bis sie selbst nicht mehr von einem lebendigen Wesen zu unterscheiden ist. Aber so wie wir Horndämonen hat auch eine Geschichte Macht über den, der sie hört und vor allem den, der sie erzählt. Sie ist selbst eine Art Dämon. Sie ist unter den richtigen Umständen eine der mächtigsten Waffen, die es gibt.
Und die Zeit wird kommen, in der du verstehst, warum diese Geschichte immer wieder erzählt werden musste und warum du sie selbst weitererzählen wirst. Vielleicht nicht heute, vielleicht auch dann noch nicht, wenn diese Geschichte von jemand anderem zu Ende erzählt wurde, aber eines Tages wirst du begreifen.
Ich selbst begann zu begreifen, als ich die Hürnin in der Gestalt sah, die sie in meiner Welt hatten. Die Gestalt, von der sie vielleicht auch ihren Namen haben.
Wie lebende Rüstungen, gefertigt aus zähen Hornplatten, standen sie da. Ihre Augen glühten und aus ihren Mündern strömte bei jedem Atemzug blauweißes Feuer. Als der Halken sich bückte, um Erich sanft auf dem Boden abzulegen, hatte ich das Gefühl, dass er dadurch die Erde zum Beben brachte.
Drigg war seiner menschlichen Gestalt noch am ähnlichsten, auch wenn er mich um einen Kopf überragte, eine Krone aus Feuer über seinem Kopf schwebte und glühende Armreifen um seine Handgelenke geschlungen waren. Erich hingegen hatte die Gestalt eines dunklen gepanzerten Gottes, in dessen Innerem ein Inferno nur darauf wartete entfesselt zu werden und der Halken war ein Titan, um den manifestierte Macht kreiste wie ein nach Blut dürstender Mond. Ich sank auf die Knie und sah auch Hund winselnd vor seinem Herrn zurückweichen.
Ich spürte nicht das erste Mal Angst, aber sie fühlt sich anders an, wenn sie nicht nur den Geist erfasst, sondern auch den Körper. Unwillkürlich musste ich an die Worte denken, die der Halken Erich gelehrt hatte: „Angst wird mich durchdringen.“, sagte ich zitternd. „Sie wird mir den Weg zeigen, wenn ich nicht die Augen vor ihr verschließe.“
Ich hatte leise gesprochen, aber der Halken hatte ein gutes Gehör. Er wandte den Kopf und blickte mich mit seinen brennenden Augen an.
Mit versagender Stimme sprach ich die Litanei im Stillen weiter, auch wenn ich nicht das Gefühl hatte, dass sie auch nur die geringste Wirkung zeigte: „Ich erwarte meine Angst. Ich werde ihr nicht nachblicken. Sie hat keine Macht über mich.“
Stampfend kam der Halken auf mich zu und ich presste in Panik die Augenlider zusammen, um nicht mitansehen zu müssen, wie er die Faust hob, mit der er mich zweifellos zermalmen würde.
„ Wo sind wir hier? Wo sind die Ahnen? “, fragte er und als seine Worte verklungen waren, ließen sie nichts als Rauschen in meinen Ohren zurück.
Ich war unfähig zu antworten. Wenn sich auch nur ein Tropfen Flüssigkeit in meiner Blase befunden hätte, hätte ich mich jetzt vor lauter Angst selbst besudelt.
Ein Stöhnen rettete mich vor der weiteren Aufmerksamkeit des Halken. Er wandte sich von mir ab, um sich neben Erich niederzuknien, der sich mit einer gepanzerten Hand den Kopf hielt.
„ Wo sind wir? Was ist passiert? “, wollte er wissen.
„ Wir sind in der Welt der Dämonen. “, antwortete Drigg und selbst aus einer Stimme, die in meinen Ohren wie Donner klang, konnte ich seine Verwunderung heraushören. „ Aber die Ahnen sind nicht hier. Und Drachall auch nicht. “
„ Die Stadt wurde zerstört.“, sagte Drigg. „Man hat sie dem Erdboden gleich gemacht.“
Der Halken wandte sich von Erich ab und ging statt dessen auf den Magier zu, der abwehrend die Hände hob und ein Wort sprach, das ich nicht verstehen konnte. Seine Augen weiteten sich überrascht als nichts passierte. Der Halken packte ihn am Hals und hob ihn hoch wie einen dürren Ast.
„ Lass ihn. “, sagte Erich schwach. Auch er hatte mit der neuen Umgebung und seinem neuen Körper zu kämpfen und bewegte sich wie ein Betrunkener, als er aufzustehen versuchte. Fasziniert betrachtete er seinen neuen Körper und hatte Drigg schon wieder vergessen.
Der Halken reagierte nicht. Für einen Moment sah es so aus, als würde er
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