Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)
mein Verstand ist jung und unschuldig.“
Ein Dutzend Münder verzogen sich zu einem schiefen Lächeln. Noch immer brachte Drigg kein Wort heraus.
„Ich war ein Narr.“, fuhr der Kastrat fort. „Nein, das ist nicht richtig. Ich war kein Narr, ich war nur nicht weise. Das ist ein großer Unterschied. Ich habe geglaubt meine Macht verpflichtet mich dazu den Lauf der Welt zu bestimmen. Meine Macht: Das ist der Turm dort hinter mir. Hoch und beeindruckend. Aber starr. Zu nichts anderem zu gebrauchen als Ausschau zu halten und sich darin vor der Welt zu verstecken.“
Drigg schluckte. Er schien sich das Zusammentreffen mit seinem Meister anders vorgestellt zu haben.
„Die Weisen haben mich gewarnt. Ba Ja Dag und die anderen haben versucht mir den Weg hinauf in die Berge zu zeigen, aber ich habe über sie gelacht. Ich hielt sie für Feiglinge, die sich von der Welt abgewandt haben. Ich habe ihnen vorgeworfen untätig zuzusehen, wie die Welt den Dämonen zum Opfer dargebracht wird, während ich alles darangesetzt habe sie einen nach dem anderen zu vernichten. Sieh, was es mir und der Welt gebracht hat.“
Ein Dutzend Arme holten zu einer weitschweifigen Bewegung aus, die alles und nichts mit einschloss.
„Und nicht nur das. Ich habe dich mit auf meinen Pfad geführt. Der Pfad, der sich nicht hinauf zu den Gipfeln windet, sondern versucht sich den Weg direkt durch das Gestein zu brechen. Nun steckst du mit mir in der Dunkelheit fest.“
„ Ich werde euch befreien.“, stieß Drigg hervor. „Und dann …“
Eine schlanke Frau mit sommersprossigem Gesicht hob abwehrend ihre Hände, während der Kastrat fortfuhr.
„Ja, das könntest du. Es steht in deiner Macht mich zurückzuholen. Mich wieder zu dem zu machen, was ich einst war. Mich von der Gestalt zu erlösen. Und du würdest genauso enden wie ich. Ich bin stets Zufällen gefolgt, die mir glücklich erschienen und hielt das für einen Plan. Ich wollte die Welt von Dämonen und ihren Verbündeten, den Hürnin befreien und als ich eines Tages zwei von ihnen auf einem Schlachtfeld begegnete geschah es: Ich wollte sie mit Feuer vernichten, aber mein Feuer erreichte sie nicht. Es öffnete für kurze Zeit eine Tür. Wie ein Loch im Eis. Nur für einen Moment. Aber ich sah es. Und als das Eis das nächste Mal dünn wurde, war ich bereit dafür. Ich verließ meine Welt und betrat diese hier. Das war ein Fehler. Ein großer Fehler … Wenn ich je eine Aufgabe hatte, dann war es die, meine Welt von den Dämonen zu säubern. Ich glaubte ich könnte sie hier von innen heraus vernichten. Aber ich habe mich getäuscht. Es gibt nur einen Grund, warum ich hergekommen bin: Um zu lernen. Um zum Weisen zu werden. Es ist noch nicht zu spät.“
Der Kastrat wandte seinen Blick von Drigg ab und sah nun den Halken und mich an.
„Es tut mir leid, dass ich damit das Schicksal deines Gefährten verändert habe. Es tut mir leid, dass er nun statt meiner die Rolle des Helden übernehmen muss. Ich fürchte er ist dieser Aufgabe noch nicht gewachsen.“
„ Gilcris? Du sprichst von Gilcris?“, wollte ich wissen.
„ Ja. Als er die Welt der Dämonen verließ, konnte ich sie betreten. Sein Blut ist mächtig. Es reißt die Schranken zwischen den Welten nieder und säht Furcht in die Reihen der Horndämonen. Aber er ist noch so jung … “
Dann blickte der vielgestaltige Magier wieder seinen Schüler an.
„Aber es lässt sich nicht mehr ändern. Denn nun bin ich hier. Und ich bin was ich bin.“
Endlich fand Drigg seine Stimme wieder. „Es ist nur eine weitere Prüfung, Meister. So wie ihr es mir beigebracht habt. Eine Prüfung der Wahrnehmung. Wenn ihr euch nicht täuschen lasst …“
Das kleine Mädchen nickte und der Kastrat fuhr fort.
„Du hast Recht. Es ist eine Prüfung. Eine Prüfung, von der ich mich nicht selbst erlösen kann. Du kannst es vielleicht eines Tages. Bleib bei mir, bis du deine Ausbildung vollendet hast. Dann wirst du nicht nur die Kraft, sondern auch die Weisheit haben uns beiden zu helfen. Dein Eintreffen soll der letzte glückliche Zufall in meinem Leben sein. Wir müssen beide den Weg in die Berge finden.“
Drigg schloss für einen Moment die Augen. Als er sie wieder öffnete, fiel alle Anspannung von ihm ab und das Feuer um seine Arme und über seinem Kopf erlosch. Wie Rauch verflüchtigte sich alles an ihm, das nicht zu einem Menschen passte und er stand wieder als junger Mann zwischen uns. Nackt und ohne Argwohn. Erst jetzt fiel mir auf, wie
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