Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)
Kratzer zuzufügen. Sie gingen beide zu Boden und ich musste mit ansehen, wie die wild um sich schlagenden Vorderpfoten des Tiers Erichs Hemd in Fetzen rissen und ihm ein paar blutige Striemen zufügten. Ich eilte zu ihm zurück, aber als ich am Ort des Geschehens eintraf, war bereits alles vorbei. Erich hatte sein Messer doch noch irgendwie tief in den Hals der Ratte gebohrt. Sein Gesicht war zu einer Grimasse der Wut verzerrt und seine Hände voller Blut. Mittlerweile wurde das zu einem gewohnten Anblick.
Er hatte so fest zugestochen, dass er sein Messer nicht mehr frei bekam, auch dann nicht als er sich mit ganzer Kraft dagegen stemmte.
Aber es war auch gar nicht nötig sich das Messer zurück zu holen, denn inzwischen waren alle Ratten tot oder dorthin geflohen, woher sie gekommen waren. Erichs Hände rutschten vom Messergriff ab und er stürzte mit einem wütenden Schrei hinterrücks zu Boden. Er schlug sich den Kopf an einem Stein und presste seine Hände mit einem erneuten Aufschrei gegen die schmerzende Stelle. Erst danach beruhigte er sich langsam wieder und auf den Kampfplatz kehrte die drückende, von Zirpen und Zwitschern durchsetzte Stille des Sumpfs zurück.
Sarn presste mit beiden Armen den Kiefer eines der riesenhaften Tiere zusammen, bis das letzte Blut aus der durchtrennten Halsschlagader sickerte und der Todeskampf in einem letzten Zucken endete.
„Verdammte Meuchler!“, fluchte Kern.
Als sie aufblickten, stand der alte Mann wie ein Blutgott zwischen ihnen, drei tote Ratten zu seinen Füßen. Seine wenigen verbliebenen Haare standen strähnig wie Stacheln von seinem Kopf ab und unter seiner Haut traten deutlich die Sehnen zu Tage.
„Das war kein Zufall.“, knurrte er ringsum spähend, ob sich noch weitere Angreifer finden ließen, die er ihrem gerechten Ende zuführen konnte. Aber alles blieb ruhig. Noch nicht einmal Sarn wusste, wie er reagieren sollte, als Kern zu Erich sagte: „Die wollten dir ans Leder, Chilles.“
Erich öffnete den Mund, war aber unfähig etwas zu sagen. Er versuchte aufzustehen, schwankte und ließ sich zurück auf seinen Hosenboden fallen. Nach seiner Gesichtsfarbe zu urteilen, hätte er sich eh nicht mehr aufrecht halten können.
„Wer ist Chilles?“, wollte Sarn vorsichtig wissen, als er den Schock abgeschüttelt hatte und sich Kern behutsam näherte. So hatte er seinen alten Kampfgefährten bestimmt schon lange nicht mehr gesehen und das machte ihm offensichtlich Angst. Das Verhalten, das er an den Tag legte, war nicht seine normale Verrücktheit. Es war fast so etwas wie … ein klarer Verstand.
„ Kern, wer ist Chilles?“, fragte Sarn noch einmal eindringlich, aber Kern schien ihn nicht zu hören. Seine Augenbrauen waren zusammengezogen, so als ob er über ein schwieriges Problem nachdenken müsste. Dann ließ er plötzlich sein blutverschmiertes Messer fallen und rannte mit großen Augen auf einen der Körbe mit den Sumpfrosen zu, die unberührt bei der Hütte standen. „Oh!“, machte er glücklich und leckte sich vor Freude über die Lippen. „Leckerlies! Omm-mjomm-mjomm!“
Mit der Hilfe von Sarn schaffte es Erich etwas später sein Messer wieder freizubekommen. Er stand immer noch unter Schock, aber Kern knabberte an den Sumpfrosen als ob nichts gewesen sei. „Wir müssen die Ratten wegschaffen.“, sagte Sarn nach einer Weile. „;Man darf sie nicht finden.“
Sie zogen die Rattenkadaver unter ein Gestrüpp, wo sie nicht gleich zu sehen waren. Die Chance, dass hier im Moor etwas lange genug liegen blieb, um zu verwesen war zwar gering, aber Sarn wollte nicht riskieren, dass jemand die blutigen Körper fand und anfangen würde Fragen zu stellen. Außerdem schien es nicht richtig diesen friedvollen Ort mit all den Leichen zu beschmutzen. Das stille Wasser war durch den dunklen Saum aus ihrem Blut bereits genug besudelt. Nachdem sie fertig waren packten sie ihre vollen Körbe und machten sich auf den Rückweg. Der Spaß an ihrem Fund war ihnen gründlich verdorben worden.
Ich betrachtete sie reihum. Erich zitterte immer noch ein wenig, während Sarns Schritte bereits wieder fester waren und er seinen Körper aufrechter hielt als zuvor. Der Kampf schien verborgene Lebensgeister in ihm wachgerufen zu haben und die unbeschwerte Freude über die Sumpfrosenernte war entschlossener Konzentration gewichen. Nur an Kern waren keinerlei Veränderungen festzustellen.
Der Rückweg durch das Moor schien sich über Stunden hinzuziehen. Sie waren auf
Weitere Kostenlose Bücher