Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)
dass er nach einem bestimmten Namen suchte und der Archivar holte zielsicher einige der ältesten Folianten aus den Regalen, damit Erich sein nach einer Erwähnung des Namens Chilles durchsuchen konnte. Otto gab ihm noch ein paar Ratschläge und wandte sich dann wieder der Reparatur eines Buches zu, dessen Rücken in der Mitte durchgebrochen war. Als Erich von Zeit zu Zeit hoch schaute, um seine Augen auszuruhen, konnte er dabei zusehen, wie Otto zuerst die alten Buchdeckel entfernte, das Buch dann sorgfältig säuberte und dann mit Leim, Papier und grobmaschigem Stoff daran ging, den Seiten eine neue Schale zu geben. Nachdem er damit fertig war und das Buch zum Trocknen auf ein Pult legte, gesellte er sich zu Erich, um zu sehen, wie er bei seiner Suche vorangekommen war.
„Ich habe nichts gefunden. Die Königslisten enthalten keinen Chilles und auch in den Verweisen auf die Familienarchive steht nichts.“, sagte Erich enttäuscht.
„ Hast du auch im roten Addendum nachgesehen?“
„ Ja, Fehlanzeige. Nirgends ein Chilles.“
Auch als Otto selbst die Verzeichnisse noch einmal durchging, konnte er keinen Chilles finden. Doch er zeigte Erich etwas, das er so noch nie gesehen hatte: Es gab Lücken in den Aufzeichnungen, in die Dutzende von diesen Chilles passen würden. In den alten Folianten, die in Leder gebunden waren, von dem Erich lieber nicht wissen wolle, welchem Tier dafür die Haut abgezogen worden war, fehlten über weite Strecken Seiten, die manchmal durch nachträglich eingeklebte Blätter ersetzt worden waren, manchmal aber auch nicht. Erich kannte sich inzwischen ein wenig mit der Schrift aus, welche die Hürnin früher verwendet hatten, zumindest so weit, dass er sagen konnte, dass etwas wirklich alt sein musste, wenn er es nicht lesen konnte. Der alte Wälzer, den er gerade von Otto gereicht bekommen hatte, war besonders lückenhaft. Nur die neu hinzugefügten Seiten enthielten einigermaßen lesbaren Text.
„Warum sollte ich ausgerechnet hier fündig werden?“, wollte Erich wissen. „Ich kann noch nicht mal entziffern, was da steht.“
„ Chilles klingt nach einem sehr alten Namen. Er muss alt sein, schon allein, weil er in keinem der Verzeichnisse enthalten ist. Wo hast du noch mal gesagt, dass du ihn gehört hast? Vielleicht kann derjenige, der ihn dir genannt hat, mehr darüber verraten.“
„ Glaube ich nicht.“ Sarns Warnung hielt ihn davon ab mehr zu sagen. Stattdessen fragte er: „Was sind das für Zeichen hier am Rand?“
Auf ausgetauschten Seiten und neben Streichungen war der Rand der Seiten bedeckt mit kleinen Schriftzeichen, die Erich aber nicht deuten konnte.
„Das sind die Anmerkungen der Archivare, die sich um das Buch gekümmert haben. In der Regel verwenden sie die alten Dialekte länger als alle anderen. Wahrscheinlich liegt es daran, dass wir diese Dialekte nicht nur verstehen, sondern auch anwenden wollen.“ Otto seufzte. „Und sie verwenden jede Menge Abkürzungen. Sogar mehr als ich.“
„ Was steht da?“
Der Archivar blätterte mit spitzen Fingern durch den Folianten.
„Was der Archivar mit dem Buch angestellt hat. Hier zum Beispiel steht, dass er die Seite nach einer Reise gereinigt hat. Hier wurden einige Zeilen entfernt, weil sich das Reich inzwischen ausgedehnt hatte und die Angaben nicht mehr den Tatsachen entsprachen. Oh, das hier ist interessant.“
„ Was steht da?“
Der Archivar lachte. „Da steht, dass der Archivar eine neue Tinte ausprobiert, die Galläpfel enthält, deswegen die Farbschwankungen in seinen Änderungen und Anmerkungen.“
Er blätterte weiter und erreichte einen Teil des Werks, der voller Streichungen war. Obwohl der Text darunter ziemlich gelitten hatte, hatte man die Seite im Buch belassen.
„ Hier hat sich der Archivar viel Mühe gegeben, einen bestimmten Namen zu entfernen. Schau hier, in einer Aufzählung von Namen ist jeweils nur ein einziger gestrichen. Und die Anmerkung am Rand dazu ist: Verräter.“
„ Verräter? Ist das so ein Archivarwitz wie 'Hurensohn' oder 'Schusterjunge'?“
Der Archivar zog die Augenbrauen hoch.
„Wo hast du das denn schon wieder her? Nein. Das muss wörtlich gemeint sein. Es war nicht unüblich unliebsame Personen aus den Werken zu streichen, besonders nicht in dieser Zeit.“
„ Von welchen Ereignissen handelt der Abschnitt?“
„ Von den Tagen lange vor der Schlacht auf dem Sommerfeld. Wundert mich gar nicht, dass sie hier so viel verändert haben. Leider hat jeder Archivar
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