Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi
Grinsen und einem Schulterzucken genötigt sah. Andrej nahm sich vor, ihn später darauf anzusprechen, auch wenn es Abu Dun ganz gewiss nicht gefallen würde.
»Es wird Zeit, dass wir von hier verschwinden«, raunte Abu Dun, als Andrej neben ihm niederkniete und damit begann, ihm bei seiner morbiden Tätigkeit zu helfen.
»Wir haben genug gesehen.«
Andrej nickte leicht, sah darüber hinaus aber nur aus halb zusammengepressten Augen nach Osten, wo die Sonne bereits als lodernd roter Dreiviertelkreis über dem Horizont zu sehen war.
»Vielleicht finden wir ja heraus, wo sie ihr Schießpulver lagern«, plapperte Abu Dun weiter. »Ich meine: So ein kleines Feuerwerk am Morgen sorgt doch bestimmt für einen fröhlichen Start in den Tag – und unserem Freund Sharif würde es auch gefallen, glaubst du nicht?« »Deshalb sind wir nicht hier«, antwortete Andrej. Sein Blick ließ den Horizont los und suchte das improvisierte Zelt, in dem Murida nach dem Gebet verschwunden war, ein Keil aus vollkommener Schwärze gegen das grelle Licht des Sonnenaufgangs.
»Sind wir nicht?«, vergewisserte sich Abu Dun. Er hörte auf, trockene Erde und Sand auf den Leichnam zu schaufeln.
»Und auch nicht, um uns weiter im Leichen fleddern zu üben«, bestätigte Andrej. Irgendwo schrie ein Vogel. Andrej horchte auf. Eine Möwe? Hier? Abu Dun war viel zu sehr damit beschäftigt, ihn finster anzufunkeln, als dass ihm diese Besonderheit aufgefallen wäre, doch das galt nicht für alle hier. Mehr als einer ihrer vermeintlichen Kameraden unterbrach seine grausige Tätigkeit, um nach Osten zu blicken, mehr als eine Stirn wurde gerunzelt, und mehr als eine Hand tastete nach einem Schwert, einem Dolch oderschloss sich fester um einen Speer. »Leider ist nicht jeder in der glücklichen Lage –«, begann Abu Dun scharf und so laut, dass ihn die Männer in ihrer Nähe verstehen mussten, und bevor er den Satz zu Ende bringen und ihre ohnehin alles andere als überzeugende Tarnung vollends ruinieren konnte, erscholl auf der anderen Seite des Hügels ein einzelner peitschender Knall, fast unmittelbar gefolgt von einem gellenden Schrei, der wiederum von einer ganzen Salve krachender Musketenschüsse abgeschnitten wurde. Abu Dun riss verblüfft die Augen auf. »Was … ist denn das?«
»Jemand, der zu spät kommt«, antwortete Andrej. Eigentlich schrie er es, um das immer noch anhaltende Krachen der Musketensalven zu übertönen. »Aber nur ein paar Momente. Komm!«
Eine Gestalt rannte auf den Hügelkamm, kam nach zwei weiteren Schritten ins Stolpern und fiel, und während sie sich überschlagend weiterrollte, brach rings um sie herum das Chaos los. Männer schrien und hoben ihre Waffen, fuhren herum und stürmten los oder erstarrten auch einfach in der Bewegung, und mindestens einer hob seine Muskete an die Schulter und drückte ab, obwohl es dort oben auf dem Hügel rein gar nichts gab, auf das zu schießen sich gelohnt hätte. »Los jetzt!«
Als Abu Dun ihn nur verständnislos ansah, packte Andrej ihn an der Schulter, wirbelte ihn herum und versetzte ihm einen Stoß mit der flachen Hand, der ihn haltlos nach vorne stolpern ließ – und vielleicht keinen Moment zu früh, denn da, wo er gerade noch gestanden hatte, spritzte mit einem Mal der Sand auf, und auch Andrej hörte ein Geräusch wie eine zornige Wespe, die direkt an seinem Ohr vorbeisummte. »Weiter!«, brüllteer.
Zu seiner Erleichterung verschwendete Abu Dun keine weitere Zeit mit sinnlosen Protesten, sondern stürmte den Hügel hinauf, auf dem das Zelt der Frauen stand. Etwas zupfte an seiner Schulter und riss einen handgroßen Fetzen schwarzen Stoff aus seinem Mantel, und auch neben ihm stoben winzige Sandgeysire aus dem Boden. Das war nun einmal das Schicksal besonders großer Männer, dachte Andrej. Sie gaben auch besonders große Zielscheiben ab. Hinter ihnen wurden Schreie laut, noch mehr Musketenschüsse und das Klirren von Waffen, doch Andrej sah nicht einmal hin, sondern rannte nur weiter, an Abu Dun vorbei, und versuchte sogar noch einmal schneller zu werden, um das Zelt zu erreichen. Eine Gestalt stolperte daraus hervor, schlank und mit wehendem langem Haar und nur als schwarzer Umriss auszumachen, aber zu groß für Murida. Andrej stieß sie zu Boden und registrierte fast beiläufig, wie sie noch im Fallen von etwas Unsichtbarem getroffen wurde, das mit rasender Geschwindigkeit und ungeheuerlicher Kraft herangeflogen kam, setzte über den zusammenbrechenden Körper hinweg
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