Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden
Paxe.
Sie saßen im kleinen Wohnzimmer. Arré wartete auf Jenith und auf Morin, den Schneider. Ein Wind aus dem Osten hatte sich in den frühen Morgenstunden erhoben und hatte den Nebel in Schwaden quer durch die Stadt nach Westen vertrieben. Die Sonne lag wie Silber über der See, und der Himmel war klar und blau und heiß.
Paxes Bericht traf Arré ganz unvorbereitet, doch die Nachricht, daß Cha Minto für den Schwertschmuggel bezahlt habe, überraschte sie keineswegs. »Das also war los mit ihm bei der letzten Ratssitzung.« Sie drehte die Armreifen an ihrem linken Handgelenk. »Ich glaube, ich will nicht so ganz genau wissen, auf welche Weise du an diese Information gelangt bist.«
»Nein«, antwortete Paxe, »besser nicht. Aber ich garantiere dir, daß mein Informant davon fest überzeugt ist.«
Arré fragte sich, wie Isak Cha Minto dazu gepreßt haben mochte, bei dieser schmutzigen Sache mitzuspielen. Waren die zwei etwa ein Liebespaar? Nein, irgendwie konnte sie das nicht so recht glauben. Ihr Mund war trocken, und sie griff nach der Wasserkaraffe auf dem Lacktisch und goß sich erneut das Glas voll. Seit ihrem Krankheitsanfall war sie immer und immer wieder von einem unbezähmbaren Durstgefühl überfallen worden.
Paxe folgte ihren Bewegungen mit den Augen. »Arré, hast du dich wieder völlig erholt?« fragte sie besorgt.
»Es sieht so aus«, sagte Arré. »Ich habe seit jener Nacht keinen Wein mehr angerührt.« Es fiel ihr noch immer schwer zu glauben, daß sie zwei Tage durchgeschlafen hatte. »Was erzählt man sich jetzt in der Stadt über Ron Ismenin und die Schwerter?«
»Die Neuigkeit, daß sie auf dem Ismenin-Hof im Schwertkampf trainieren, hat sich überall herumgesprochen.«
»Und bringen die Leute die Ismeninas mit den geschmuggelten Schwertern in Verbindung?«
Paxe rieb sich am Kinn. »Noch nicht, bisher. Oh, ein paar Leute tun es. Es ist seltsam, Arré, den hier in der Stadt geborenen Leuten erscheinen Waffen einfach als nicht wirklich und real. Sie reden zwar darüber, aber sie denken nicht darüber nach.«
»Wie machen sich deine Leute beim Schwerttraining?«
»Sie sind begeistert. Aber auch sie sehen Schwerter nicht als etwas Wirkliches an, als Werkzeuge, die verstümmeln oder töten können.«
»Ich hoffe, das wird nie geschehen«, sagte Arré leise.
Paxe fragte: »Glaubst du denn, daß die Möglichkeit besteht?«
Arré seufzte. »Ich habe dir neulich gesagt, ich weiß nicht, was Ron Ismenin vorhat. Vielleicht kannst du es herausfinden. Frag doch deinen Freund Dobrin!«
Sie hatte das nur halb ernst gemeint. Doch Paxes Augen wurden schmal, und dann nickte sie. »Vielleicht tu' ich's«, sagte sie.
Lalith klopfte den Türpfosten. »Herrin?«
»Ja, Kind, was gibt's?«
»Jenith ist da und möchte dich sprechen.«
»Gut.« Arré stellte ihr Glas auf den Tisch.
Paxe stand auf. »Ich verzieh mich, damit ihr reden könnt.« Sie reckte die langen Arme hoch über den Kopf. »O Wächter, bin ich müde!« Und sie schleppte sich aus dem Zimmer. Im Flur blieb sie kurz stehen und sprach mit Jenith. Arré hörte ihre Stimmen – Paxes tiefe und die höhere, rauchige der Fremden. Dann trat Jenith ein. Sie war eine kleine dunkle Person mit einem anziehenden verwitterten Gesicht und goldenen Ohrringen in beiden Ohren.
»Herrin.« Sie verneigte sich, dann schaute sie sich mit unverhohlenem Wohlgefallen um. »Hübsch ist es hier. Ich mag die kleinen Lampen.«
»Ich danke dir«, sagte Arré, amüsiert, aber zugleich auch bezaubert von dem natürlichen Charme. Die Lampen waren aus weißem Porzellan, dem feinsten, das in ganz Arun gefertigt wurde; und der Künstler hatte darauf Trauben gemalt, die noch am Weinstock hingen, sozusagen als Tribut und Ehrerbietung gegenüber der Quelle des Reichtums der Med. Die Farben waren frisch und leuchtend. »Mir geht es genauso. Bitte setz dich!« Sie wies auf den Hocker.
Jenith ließ sich nieder. »Stört es dich, wenn ich rauche?«
»Nein.« Arré schaute fasziniert zu, wie Jenith eine Pfeife und einen kleinen Beutel aus Rehkitzleder aus der Tasche ihres Kleides holte und aus dem Beutel ein grünes Kraut in den Pfeifenkopf stopfte, dann aus der gleichen Tasche Zunder und Feuerstein zog und die Pfeife anzündete.
»Ah!« Sie legte den Kopf in den Nacken und öffnete den Mund. Ein Ring weichen grauen Rauchs schwebte langsam zur Decke hinauf. »Jetzt fühl ich mich besser.«
Arré hatte noch nie zuvor jemanden gesehen, der Rauchringe blasen konnte. Sie
Weitere Kostenlose Bücher