Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden
ihren Zelten, andere zu den wartenden Trommeln.
Ricky fragte: »Kehrst du in die Stadt zurück?«
»Nein«, sagte Sorren, »ich reise in den Norden.«
Sie sah sein Nicken. Er wirkte magerer und viel muskulöser. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und fragte scheu: »Geht's meiner Mutter gut?«
Sorren holte Luft. »Ja. Ihr Arm war verletzt, bei einem Kampf, aber er heilt schon wieder.«
»Was für ein Kampf?«
»Der Kampf mit den Mordbuben. Sie hat sie gefangengenommen.«
Und natürlich mußte sie ihm nun doch alles erzählen.
Der Bericht dauerte länger, als sie angenommen hatte, und als sie damit zu Ende kam, konnte sie sich nur mit äußerster Mühe noch wachhalten. Ricky begleitete sie zum Zelt der Töchter Jeniths. Der Junge hatte sich verändert – die Sauertöpfigkeit, an die sie sich erinnerte, war ganz verschwunden. Am Zelteingang murmelte er ihr etwas entgegen, ehe er sich in die Dunkelheit davonmachte. Es klang wie »Sichere Fahrt dir!«
Sorren gähnte so ausgiebig, daß ihre Kiefer knackten und trat ins Zelt. Der Platz reichte so gerade für vier Personen. Sie holte den grauen Mantel aus ihrem Reisepack und stopfte den Sack in eine Ecke. Kniend breitete sie dann den Mantel aus und legte so eine Lage Stoff zwischen sich und den Erdboden. Jenith holte ihre Pfeife hervor und hielt sie ihr hin. Sorren schüttelte den Kopf. »Das brauch ich heut nicht«, sagte sie. »Ich träum auch so schon.«
»Dann hab süße Träume«, sagte Jenith. Sie sprach in der Asechsprache zu Aisha, der jüngeren ihrer Töchter, und diese reichte Sorren kichernd eine Decke.
»Aber das da genügt mir doch«, sagte Sorren und klopfte auf ihren Mantel. Doch Aisha ließ die Decke einfach vor Sorrens Füße fallen und ging wieder zu ihrem Strohsack zurück.
»Ich danke dir«, sagte Sorren. Sie legte sich nieder, wickelte die Decke um sich und ließ den Kopf auf ihre Stiefelschäfte sinken. In einer Lücke zwischen den Zeltstangen glomm ein Stückchen dunkelblauen Himmels, und der Rauch aus Jeniths Pfeife stieg ruhig strömend dorthin auf.
Dann begannen die Trommeln zu sprechen.
»Fühlst du dich behaglich?« fragte Jenith sanft.
»Ja«, gab Sorren zurück. »Ich fühl mich fein.«
Jenith gähnte. »Ich möcht gern wissen, wo Isak Med sich heut nacht rumtreibt«, sagte sie.
Nein, sie wollte nicht an Isak denken ... Statt dessen überlegte sie, ob Arré wohl schon zu Bett gegangen war. Lalith würde nun all das für sie erledigen müssen, was bisher Sorren getan hatte. Der Koch würde ein neues Küchenmädchen brauchen, irgendeine Neue, um Toli Gesellschaft zu leisten ... Paxe schlief wohl schon, vielleicht allein, vielleicht mit jemand anderem ... Sorrens Augen brannten. Sie wälzte sich herum, so daß sie wieder zum Himmel hinaufblicken konnte, und bettete den Kopf auf den Arm. Nein, jetzt kann ich nicht mehr nach Kendra-im-Delta zurückgehen, dachte sie. Es gab keinen Platz mehr für sie, an den sie hätte heimkehren können.
Am folgenden Morgen bedankte sie sich bei Jeniths Töchtern für die Gastlichkeit. Zu Jenith sagte sie: »Wie weit ist es bis Nuath?«
»Eine Woche und eine halbe«, sagte die Asechfrau. »Sechs Tage bis zur Wegkreuzung bei Shanan, und von dort nochmal sechs bis Nuath.«
Der erste Tag war nicht so schlimm. Sie wanderte am Straßenrand dahin und schaute zu, wie die Karren an ihr vorbeizogen. Bei Sonnenuntergang kam sie nach Terzi, ging aber nicht in den Ort hinein, sondern machte es statt dessen so, wie sie es viele andere Fahrende tun sah: sie baute sich einen Ring aus Steinen und legte ein Lagerfeuer an. Die Weinleser hatten ihr Essen aufgedrängt: Maiskolben und Ziegentrockenfleisch. Sie hockte an ihrem Feuer, aß und trank Wasser aus ihrem Silberflakon. Sie dachte kurz daran, die Trommeln aus dem Pack zu holen, doch hier draußen im Freien wäre ihr Klang kaum vernehmbar gewesen. Als ihr dies bewußt wurde, beschloß sie, etwas zu singen. Sie sang sämtliche Liebeslieder, an die sie sich zu erinnern vermochte. Sie begann »Ich bin ein Fremdling« zu singen und brach ab, weil sie an Arré und Isak denken mußte.
Der zweite Tag ließ sich schwieriger an. Vor ihr rollten die Felder dahin, eintönig, ohne besondere Merkmale, genau wie auf Kadras Karte. Karren und Pferde polterten an ihr vorüber und wirbelten den Staub auf. Zu Mittag aß sie die letzten Bissen von dem Trockenfleisch. Der Himmel leuchtete blau mit fernen Pilzknäueln von Wolken, die Felder waren braun, und kein
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