Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden
Isak Med gespielt. Bei der Ratssitzung. Und in ein paar Wochen trommle ich für ihn bei der Verlobungsfeier der Ismeninas.«
»Sehr hübsch«, sagte Jeshim wohlwollend. »Da bekommst du was Feines zu essen.«
»Ach, ich esse auch jetzt ganz gut. Ich hab' gehört, daß du dort jonglieren wirst.«
»Bei der Ismenin-Verlobung?« Jeshims Zähne schimmerten gelb durch den rotbraunen Bart. »Ich wollte, ich dürfte dabeisein. Ich wollte, das wäre wahr. Wer hat das gesagt?«
Sie hatte es ganz einfach erfunden. »Weiß ich nicht mehr. Stimmt es denn nicht?«
»Nee!« Er hielt ihr die Pfeife hin, und sie winkte sie beiseite. Er steckte sie wieder zwischen die Zähne und saugte heftig. Seine Brust schwellte sich.
Sie sagte: »Vielleicht schaff ich's ja, daß es wahr wird. Ich könnte deinen Namen vor Isak Med erwähnen. Vielleicht klappt es dann.«
»Wenn du das machst, bin ich dir sehr dankbar. Das könnte meiner schwindsüchtigen Börse ein bißchen Speck bringen.«
»Arbeitest du nicht am Herbstfest?«
»Aber sicher doch«, sagte der Gaukler. »Die Schreiberin des Blauen Clans ist ganz höchstpersönlich zu mir gekommen und hat mich gebeten, im Zelt des Blauen Clans eine Vorstellung zu geben. Aber bis dahin sind's noch fünf Wochen!«
Sorren zählte an ihren Fingern ab. »So ist es.« Sie ließ ihre Blicke schweifen. »Welcher von den Ismeninsöhnen heiratet eigentlich – ich hab's vergessen.«
»Col«, sagte Jeshim. »Er ist der älteste nach Ron.«
»Und wen kriegt er?«
»Ach, irgend so 'ne Schickse vom Blauen Clan.«
Er hatte die Augen vor dem Rauch halb geschlossen. Er wußte natürlich, daß sie ihn aushorchte, er mußte es wissen. Sorren knüpfte den Knoten ihres Armbands auf und schob einen Wunschknochen von der Schnur. Sie ließ ihn in Jeshims Pack gleiten. Seine Augen öffneten sich wieder. »Ihr Name lautet Nathis Ryth.«
Sie hatte keine Ahnung, wer Nathis Ryth war, aber Arré würde es wissen. »Kriegst du hier unten überhaupt was zusammen?« fragte sie.
Jeshim lächelte. Er schielte zu dem Pack bei seinen Füßen nieder. »Nicht besser oder schlechter als an irgendeiner andern Straßenecke der Stadt.« Seine Stimme war teigiger geworden und dunkler, der Himmelsrauch schien seine Wirkung zu tun. »Weiß denn Isak Med nicht, wer da droben auf dem Hügel sich mit wem verbandelt?«
Die Ismeninas lebten nicht in der Oberstadt auf dem Hügel. Sorren dachte nach. Sicher, sie wußte, was der Jongleur gemeint hatte. Sie sagte: »Ich stelle Isak keine Fragen. Er hat das nicht gern.« Das war zwar eine Lüge – Isak genoß es, wenn man ihm Fragen stellte –, doch hörte es sich gut an.
Jeshim nickte und ließ den Arm um ihre Schulter gleiten. »Sei doch ein bißchen nett zu mir, Sorren«, bat er.
Sie streifte die Finger von ihrem Oberarm. »Jeshim, steck deine krumme Pfeife weg!« Er schielte sie beleidigt an, als sie aufstand und langsam bis ans Ende der Holzplanken ging.
Das Meer siedete und wand sich unter dem Nebeldunst wie eine riesige geschmeidige Schlange. Sie lauschte dem Anprall der Wogen.
»Schön das, nicht?« sagte eine Stimme. Es war der Mann in Grau.
»Ja, vermutlich«, antwortete Sorren voller Zweifel. Sie fand die See eher furchteinflößend. »Bist du ein Fischer?«
Der Mann lachte. »Sehe ich etwa aus wie ein Fischer?«
Sorren betrachtete ihn. Er war dunkel, und er hatte ein komisches Gesicht: breite Wangenknochen, eine breite Stirn und ein festes schmales Kinn, ein Gesicht wie aus Teilen zusammengesetzt, die nicht zusammenpaßten, wie das Gesicht an der Holzpuppe eines Kindes.
Außerdem war der Mann sehr betrunken. Die braunen Augen konnten sich nicht so recht konzentrieren, und sein Atem roch streng nach Wein. »Nein«, antwortete Sorren, »das tust du nicht.«
Er schwankte auf der Stelle herum. »Ich weiß, wer du bist«, sagte er. »Du bist Leibeigene bei Arré Med. Das Mädchen aus dem Norden.«
»Mein Name ist Sorren.«
»Kadra. Kadra-no-Ilézia.«
Sorren mußte blinzeln. Der Name war ein Frauenname.
Sie betrachtete sich Kadra noch einmal genauer, und nun bemerkte sie die geschwungenen Hüften unter dem grauen Mantel, eine, zwei weitere Schwellungen, die Brüste sein konnten. »Tut mir leid«, stammelte sie.
»Das kommt vor«, sagte Kadra rätselhaft. »Oha, bin ich betrunken! Du kennst den?« Sie fuhr mit dem Daumen in Richtung auf den Jongleur zu.
»Ja. Wir sind Freunde.«
»Freunde.« Kadra sprach das Wort aus, als wisse sie nicht, was es bedeutete. Dann
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