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Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden

Titel: Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth A. Lynn
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schwang, den Fluß hinauf, und sie erinnerte sich an Nachmittage, an denen sie am Fluß entlangspaziert war und vom Ufer aus die Barken betrachtet hatte, die flußabwärts gestakt wurden – und Paxes Arm hatte um ihre Schultern gelegen ...
    Das waren Jahre des Glücks gewesen. Sie war dabei gewesen, ihr Gewerbe zu erlernen – die Herrschaft; Paxe war Zweiter Wachoffizier gewesen. Und Isak – Isak war in Shanan gewesen und hatte den Tanz studiert. Weiß Isak etwas von den Schwestern? fragte sie sich. Er war der Freund von Ron Ismenin, er mußte davon wissen. Aber natürlich würde er zu ihr nichts darüber sagen. Sie war seine Schwester, und er haßte sie und wollte sie aus ihrer Position verdrängen, oder doch wenigstens ihr gleich sein. Ein Bild füllte einen Augenblick lang ihre Erinnerung: ein Knabe, dunkel und schmal und graziös wie eine Katze, mit strahlenden dunklen Augen, der vor Entzücken krähte, wenn sie ihn in die Luft warf; sein langes Haar wirbelte im Wind. »Ré«, so hatte er sie gerufen. »Ré! Warte! Ré, darf ich mit dir kommen? Ré, ich will bei dir sitzen ...« Sie hatte ihn vergöttert, genau wie ihre Mutter und jedermann, der ihm begegnete. Aber wann hatte sich sein Entzücken in Eifersucht verwandelt, in Neid? Sie wußte es nicht mehr, wußte nur, daß es recht früh schon geschehen sein mußte. Mit sieben, acht Jahren war er in ihrer Gegenwart immer mürrischer und verstockter geworden, hatte ihrer Mutter hingegen eine immer heftigere Aufmerksamkeit erwiesen, als glaubte er, daß diese Liebesbezeugungen irgendwie die Tatsache ändern könnten, daß er der Jüngere war und nicht der Erbe. Er hatte um Shana Med geweint ... Arré schloß das Fenster. Aber dann war er zu Meredith gezogen, um bei ihr zu studieren, und als er von Shanan zurückkehrte, war er stachelig und hart wie die Oberfläche einer chobata, und abweisend, zumindest gegenüber Arré, als hause er in den Tiefen irgendeiner Höhle.
     
    Es war bereits weit in der Stunde der Abendmahlzeit, als Sorren wieder aus ihrem Zimmer hervorkam.
    Die Laternenanzünder ließen ihre hellstimmigen Signalrufe erklingen, mit denen sie sich in den gewundenen Straßen Bescheid gaben. An den Abenden – und es war die Regel –, an denen Arré keine Gäste hatte, war sie gewohnt, ihre Abendmahlzeit in ihrem Zimmer einzunehmen. Sie war mit der Nachspeise beschäftigt, als Sorren eintrat. Der Kratzer auf der Stirn des Mädchens war rot und geschwollen. »Setz dich!« befahl Arré und schwang die Glocke für Lalith. »Hast du Balsam auf die Prellung getan?«
    »Ja«, sagte Sorren und setzte sich auf den Schemel. Lalith trat ein, und Arré befahl ihr, ein zweites Gedeck zu bringen.
    »Ich hab' keinen Hunger«, sagte Sorren.
    »Unsinn«, knurrte Arré. »Du mußt einfach Hunger haben, nachdem du den ganzen Tag geschlafen und den ganzen Morgen gerauft hast!«
    Sorren berührte den Rand der Prellung mit dem Finger. Arré dachte, es sieht schlimmer aus, als es ist. Sie selbst bekam leicht Wunden und Prellungen, und die winzigsten Kratzer heilten unendlich langsam. Sorren hatte eine weiße Haut, und darum zeichneten sich alle Verletzungen so deutlich auf ihr ab. Doch, sie sah wirklich wie eine Nordländerin aus; es war dieser Hautton gewesen, der ursprünglich Arrés Blick auf sich gezogen hatte. Vor Jahren, damals in den Weingärten: dieses Haar von der Farbe des Sonnenlichts, und diese Augen, die so blau waren wie die Trompetenblüten, die an den Weinstöcken emporrankten. Als ich ein kleines Mädchen war, dachte Arré, habe ich mir immer gewünscht, so auszusehen.
    Sorren sagte: »Es war nicht meine Absicht, so lang zu schlafen!«
    Arré lächelte sie an. »Aber ich schimpfe doch gar nicht mit dir, mein Kind.«
    »Ich bin kein Kind.« Der Rücken des hochgewachsenen Mädchens versteifte sich auf die gleiche Art, wie dies bei Paxe immer der Fall gewesen war.
    »Ich weiß, ich weiß ja«, sagte Arré sanft. Sie sieht jünger aus als siebzehn, dachte sie, mit ihrem vom Schlaf zerzausten Haar und den schweren weißen Augenlidern. »Wie fühlst du dich?«
    »Ach, ganz in Ordnung.«
    Lalith brachte das Essen. Sorren nahm den Teller auf die Knie. Sie hob ein Stück Schinken auf. »Ich glaube, ich hab' doch Hunger«, gestand sie. Scheu lugte sie durch die Wimpern herauf. »Vielleicht kommt es von der Seeluft. Ich war drunten bei den Docks, als Ricard mich – gesehen hat.«
    »Oh?«
    »Ich hab' mir das Schiff angeschaut. Das die Isaras und Jalaras bauen, um

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