Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden
spielten Musik auf Rohrflöten, und Kinder rannten mit Klappern herum, die wie Ochsen geformt waren. Es war das bedeutendste Fest der Asech, nach dem Fest des Pferdes, das im Frühjahr nach der Aussaat gefeiert wurde. Paxe ertappte sich dabei, daß sie im Rhythmus der fremdartigen Musik ausschritt. Eine klare Stimme begann in einem Haus zu singen, und Paxe sah die Silhouette eines Mädchens hinter einem Paravent. »Ya-ha-ha-tay ...« Sie mußte an Sorren denken.
Sie hatte Sorren – außer bei einem beiläufigen Grüßen, das kaum zu vermeiden war – seit vier Tagen nicht mehr gesprochen. Nein, sie war ihr nicht böse, war nicht zornig auf sie, noch gab sie ihr die Schuld für das, was ihr eigener Narr von einem Sohn angestellt hatte –, doch sie wollte sie einfach nicht sehen. Für eine Zeitlang. Während der letzten vier Nachmittage war Sorren gekommen und hatte still und geduldig auf dem Zaun des Waffenhofes gehockt, und Paxe war bei ihren Soldaten geblieben und hatte so getan, als hätte sie die schlanke goldene Gestalt auf den Holzbalken nicht gesehen.
Arré hatte es natürlich bemerkt und gestern morgen mit ungebremster Plumpheit gesagt: »Sorren ist unglücklich. Ich nehme an, es ist dir nicht entgangen.«
»Ich weiß es.«
»Und? Wirst du etwas dagegen tun?« fragte Arré.
»Wenn ich soweit bin.« Es klang grausam. Arré zuckte die Achseln.
»Ich denke, du benimmst dich töricht«, sagte sie, und das war dann das Ende vom Ganzen. Es hatte Paxe ferngelegen, grausam zu sein, doch wann immer sie Sorren sah, hielt etwas sie davor zurück, die Hand zu ihr hinzustrecken. Sie hoffte, daß niemand, außer Arré, etwas bemerkt hatte.
Der Verkehr am Tor floß träge; eine Wagenschlange wartete darauf, eingelassen zu werden. Paxe fragte sich, was diese Stauung verursachte. Sie blickte sich nach dem diensthabenden Offizier um. Sein Name war Sereth, und er war in der Stadt geboren.
»Wo ist Sereth?« rief sie einem der Posten zu.
»Hinterm Wachhaus!« rief der Posten zurück.
»Hofmeister!« Paxe drehte sich um und sah Sereth, der ihr von der Mauer des hohen Wachhauses her zuwinkte. Sie gab den Gruß zurück und arbeitete sich über die gepflasterte Straße zu ihm hindurch.
Das dichte sandfarbene Haar stand ihm starr vom Schädel ab. »Ich muß dir etwas zeigen.« Sie folgte ihm um das Wächterhaus herum zu dem kleinen Waffenschuppen, in dem die Torwachen ihre Piken und Schleudern aufbewahrten. Er kniete vor einer Kiste nieder und schlug den Deckel zurück. »Schau dir das an!«
Auch Paxe kniete nieder. Der Stempel außen auf der Kiste besagte, daß sie Wolle enthielt. Sie schaute hinein. Da lag ein Bündel orangefarbener Wolle, und zwischen den weichen Lagen ragte etwas Leuchtendes hervor. Sie griff hinein und tastete vorsichtig über das Gewebe. Sereth verlor die Geduld. Er beugte sich über ihre Schulter und zog die Wolle beiseite. Das orangefarbene Gewebe verbarg eine – nein, mehr als eine oder zwei Waffen in Scheiden. Schwerter.
Sereth hockte sich neben ihr nieder. »In der Kiste sind sieben Messer und zehn Schwerter. Vanesi-die-Kauffrau hat sie gebracht. Sie schwört, sie hat nicht die geringste Ahnung gehabt, daß sie da drinsteckten. Sie ist jetzt im Wachhaus. Wir haben sie festgenommen, weil wir uns dachten, du willst vielleicht mit ihr reden.«
Er war ein wenig außer Atem – vor Erregung, vermutete Paxe. Sie fragte sich, ob er jemals zuvor ein echtes Schwert gesehen hatte. »Habt ihr unter ihren anderen Waren weitere Waffen entdeckt?«
»Nichts. Wir haben die Karawane auseinandergenommen.«
»Habt ihr überhaupt sonst Waffen gefunden?«
»Noch nicht. Wir überprüfen sämtliche Wagen noch einmal, besonders die aus dem Norden.«
Paxe drehte das Schwert in den Händen. Es leuchtete hell und scharf und trug weder Dellen noch war Rost zu sehen. »Wann hat zuletzt jemand versucht, scharfe Waffen in die Stadt hereinzuschmuggeln?« fragte sie.
»Vor drei Jahren«, sagte Sereth prompt. »Ben-no-Shana hat durchs Westliche Tor zwei Schwerter hereingebracht. Man hat ihm auf der Stelle die rechte Hand abgehackt.«
Paxe stand auf und ließ das Schwert zurück in die Kiste gleiten. »Ich hatte seinen Namen vergessen«, sagte sie. »Du hast ein gutes Gedächtnis, Sereth.« Sereth errötete vor Freude. »Bring mir Vanesi.«
Der Hauptmann eilte davon. Er führte ihr Vanesi höchstpersönlich aus dem Torgefängnis vor. Die Kauffrau kam mit weitem Schritt aus dem Wächterhaus. Das rote Haar war nach der
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