Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden
und rieb sich Hände und Gesicht damit ab. Sie überlegte sich, wie es sein mochte, für Isak ein Haus zu führen.
Er streckte die Beine flach auf der Matte aus und begann mit der Stirn seine Knie zu berühren. Sorren hatte Paxe die gleiche Übung machen sehen, wenn sie eine Trainingsstunde im Waffenhof hinter sich hatte. Damit streckte man die Muskeln; und wenn sie es versäumte, konnte sie Krämpfe bekommen. »So«, sagte er aus dieser zusammengefalteten Stellung heraus, »und wie geht es meiner teuren Schwester?«
»Arré Med befindet sich wohl.«
Seine Mundwinkel zuckten in die Höhe. Er wußte, wie sehr sie es verabscheute, mit ihm über Arré zu sprechen. Und ehe er noch etwas sagen konnte, fragte sie: »Wie geht es deiner Frau?«
»Ach, recht gut. Sie wird zum Fest in die Stadt kommen.«
Während der Festtage lebten Myra und die Kinder mit ihm in dem Stadthaus der Familie. »Und wie geht's den Kindern?«
»Gut, nehme ich an. Myra würde mir Bescheid sagen, wenn sie gestorben wären.«
Er war wie ein Spiegel; man bekam von ihm nie etwas anderes zurück als eine glitzernde Spiegelung der eigenen Fragen. Sorren stand auf. Ihre Knie schmerzten, weil sie sie so lange in einer Stellung gehalten hatte. »Wann ist diese Verlobungsfeier, mein Herr?«
»In vierzehn Tagen.«
»Werden wir noch eine Probe brauchen?«
»Ich weiß nicht.« Er ließ sich rücklings auf die Matte sinken. »Was meinst du?«
»Ach, ich tu, was dir recht ist.«
Er lachte. »Das glaube ich nicht. Heute ist es ja gutgegangen. Das Fest beginnt eine Stunde vor dem Mittag, aber vielleicht ist es besser, wenn du ein wenig früher kommst.«
»Einverstanden.« Verlobungen dauerten meist bis zum Sonnenuntergang, manchmal auch darüber hinaus. »Meinst du, die Ismeninas würden vielleicht gern einen Jongleur sehen?« fragte sie, da sie sich plötzlich an Jeshim erinnerte.
»Vielleicht«, antwortete Isak. »Warum, kennst du einen?«
»Er heißt Jeshim. Er ist ein Halbasech; er jongliert mit Bällen und Tellern, und er kann auch Messerwerfen. Er ist sehr gut.«
»Wenn du ihn bis dahin siehst, dann sage ihm, er soll bei mir vorbeikommen und mir zeigen, was er kann. Ron hat mir die Unterhaltungsnummern überlassen.«
»Ich werde es ihm sagen«, antwortete Sorren. »Hast du einen besonderen Wunsch, was ich anziehen soll?«
»Zieh was Elegantes an!«
»Ich könnte die Seidenrobe mit den Schmetterlingen tragen, die ich bei der Ratssitzung angehabt habe.«
»Ja, tu das.« Er schnippte mit dem Finger nach ihrem Knie. »Du hast an dem Abend sehr hübsch ausgesehen.«
Sorren errötete. »Danke.«
Sie trat ans Fenster. Es ging auf einen kleinen Garten hinaus: Sonnenlicht funkelte auf den Blüten der roten und gelben Tulpen, die wie Soldaten in Reih und Glied standen. Isak hielt den Hof und den Garten immer schön gepflegt, doch Sorren glaubte nicht, daß er sich einen Deut um die Blumen scherte, er wollte nur einfach Schönes um sich haben. Selbst in diesem Zimmer, das nur ein Übungssaal war, waren die Wandbilder aus teurer Seide, die Kissen waren mit Gänsedaunen gefüllt, und die chobatas waren von feinstem bemalten Porzellan.
Sie holte tief Luft und stieß dann den Atem langsam aus. Sie war nervös. Bei ihrer Morgenmahlzeit hatte Arré gesagt: »Vergiß nicht, meinem Bruder von dem Schwert zu erzählen!« Noch vor einer Woche war es ihr leicht erschienen, und sie hatte sich bereiterklärt, eine kleine Lüge auszusprechen; jetzt kam es ihr nicht mehr so einfach vor. Isak war außergewöhnlich klug.
Andererseits war diese Lüge inzwischen sehr viel plausibler geworden, als sie es vor einer Woche gewesen wäre. Es gab tatsächlich jemanden, der Schwerter in die Stadt einschmuggelte. Die Wächter an sämtlichen Toren durchsuchten die Karawanenzüge nach Waffen, und jedermann auf den Märkten wußte, daß sie dabei über dreißig Klingen gefunden hatten: in Baumwollballen und Holzbündeln, auf Langholzflößen und Erzkarren, in einem Getreidesack und sogar in einem Warenbündel aus Tezera, das als Kinderspielzeug deklariert gewesen war.
Morgen würde Arré in den Tanjo gehen und mit dem L'hel über den Bann sprechen. Auch das war auf den Straßen allgemein bekannt. Sorren fragte sich, ob man den Bann vielleicht aufheben würde. Sie bezweifelte es, doch wenn der Bann gelöst würde, dann würde vielleicht auch der Rote Clan wieder nach Kendra-im-Delta zurückkehren. Zwar wußte sie, das war unwahrscheinlich, doch empfand sie es als erregend, es
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