Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden
Träger, und Arré wurde fortgetragen, flankiert von Wachen, fort von ihrem Haus und den Medhügel hinab.
Es war gnädigerweise nur eine kurze Reise.
Die Sänftenträger waren behutsam, und als sie sie endlich im Tanjobezirk absetzten, war Arré so dankbar dafür, wieder festen Boden unter sich zu spüren, daß sie den Männern zulächelte und dem Wachoffizier befahl, ihnen noch ein Trinkgeld zu ihrem Lohn zu geben. Es überraschte sie, daß sie heil und unversehrt wieder die Erde berührte. Die Wachen furchteinflößend hinter sich, ging sie langsam auf den Eingang zum Tanjo zu. Das große rote Gebäude war wirklich beeindruckend. Und so befahl sie sich, nicht davon beeindruckt zu sein.
Am Tor des Tanjo zögerte sie, und während sie so wartend dastand, kam ein Mann auf sie zu. Sie erkannte ihn, und es versetzte ihr einen Schock – nicht daß sie ihn sah, sondern daß sie ihn hier und jetzt traf. Es war Kim Batto.
»Arré!« Er war ganz Lächeln. »Man erwartet dich schon. Geh nur direkt hinein!« Er trat ihr aus dem Weg und ging langsam davon. Nachdenklich blickte sie ihm nach. Er war ohne Leibwache gekommen, und er hatte es sich nicht nehmen lassen, ihr zu demonstrieren, daß er wisse, weshalb sie gekommen sei ... Das war keine schlechte Methode, um sich den Anschein von Bedeutung umzuhängen. Sie ertappte einen ihrer Wächter, wie er das Zeichen des Gehörnten Mondes hinter Kim Battos Rücken machte, und sie unterdrückte ein Lächeln.
»Sei bedankt, Hauptmann«, sagte sie. »Ich werde euch in etwa einer Stunde wieder brauchen.«
Der zweite weißgepflasterte Platz war sehr sauber. Arré schaute den Wachen beim Abmarsch zu. Dann wandte sie sich um und trat durch das Tor in den Tanjo. Im Innern war es düster. Gleichgültig starrte der Wächter auf sie herab, auf die anderen Menschen in dem roten Raum, auf die Stadt, auf die Welt ... Aber er war ja nur eine Statue. Sie starrte grimmig zurück, sie weigerte sich, sich dieser Verlockung zu Ehrfurcht und Anbetung zu unterwerfen, ihr nachzugeben. Vor diesem Stein, bloß einer Statue. Eine ganz ähnliche stand bei ihr zu Hause im Flur neben dem Eingang. Der gleiche Bildhauer hatte sie angefertigt. Es war nur ein Steinbild.
Jemand flüsterte ihren Namen – man hatte sie erkannt. Zwei Frauen, die dicht vor dem Sockel der Statue knieten, starrten zu ihr her. Als sie sie anblickte, erröteten sie, flüsterten aber weiter miteinander. Arré legte die Hände in der Geste einer Bittenden zusammen und verneigte sich. Sie haßte diesen politischen Zwang, der sie dies tun ließ.
»Arré Med.« Das war kein Flüstern. Ein Akolyth war zu ihr getreten.
»Ja.«
»Bitte komm mit mir hier herüber!« Er nickte, und sie folgte ihm.
Er führte sie um die Statue herum an eine Tür, an die sie sich undeutlich vom letztenmal erinnerte, bei dem sie sich mit Jerrin-no-Dovria i Elath getroffen hatte. Die Blaufliesen, die den Bogen über der Tür schmückten, paßten zu den blauen Kacheln des Bodens. Die Tür war ein Paravent und ließ sich leicht öffnen. Der Diener bedeutete ihr, sie möge vorausgehen. Sie trat in einen ähnlich gekachelten Flur.
»Du bist Arré Med«, sagte die Frau, die sie dort erwartete. Sie besaß eine außergewöhnliche Stimme, tief und rauh. Das Gesicht unter der schweren Drapierung des langen schwarzen Haares war glatt und verführerisch. Der Saum ihres langen weißen Kleides schleppte über die Kachelmuster. »Sei willkommen im Tanjo. Ich bin Senta-no-Jorith.«
Sie sprach ihren Namen aus, als erwarte sie, daß Arré ihn kenne. Ihre Grazie und ihre Haltung verliehen der älteren Frau das Gefühl, unschön und linkisch zu sein. Es war ein Gefühl, mit dem Arré vertraut war, und sie wartete, daß es vergehe.
»Bitte folge mir«, sagte die junge Frau. Der Gang war nur kurz und endete wieder an einem Bogen, der sich direkt zu einem besonnten Innenhof hin auftat.
In der Mitte dieses Hofes lag ein Grasgarten voller Blumen, und in dessen Mitte ein Becken mit roten Fischen und daneben eine Bank. Jerrin-no-Dovria i Elath saß auf der Bank. Er erhob sich bei Arrés Ankunft. Er sah noch fast genauso aus, wie Arré ihn in Erinnerung hatte: dunkelhäutig (wenn auch nicht so dunkel wie sie selbst), mit hellem Haar, dunkelblauen Augen und Narben über beide Wangen. Er trug weiße Seide. Am Mittelfinger seiner rechten Hand steckte ein prächtiger Goldring mit weißem Stein. Der Mann war untersetzt und hatte die breiten Schultern eines Ringers, und er war nur
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