Die Chroniken der Nebelkriege 1: Das Unendliche Licht
»Sicher kennt Ihr das. Bestimmte Gewohnheiten wird man einfach nicht los.«
»Was ... wer bist du?«
»Danke zunächst einmal, dass Ihr aufgehört habt zu schreien, junger Herr«, antwortete das Wesen erleichtert. »Ihr müsst wissen, dass ich Lärm selbst nur schlecht ertrage. Aber Fluch ist Fluch. Da hilft kein Wimmern und kein Klagen. Ich höre auf den Namen Quiiiitsss. Ich bin der Hausdiener des größten Zauberers zwischen Albion und dem Albtraumgebirge. Sicher habt Ihr bereits von ihm gehört. Ich spreche von dem weisen, vielmals gepriesenen Magister Thadäus Eulertin. Wir alle haben ihm viel zu verdanken. Auch Ihr, junger Herr, wenn Ihr mir diese Bemerkung gestattet.«
»Aha«, stammelte Kai. Das erklärte immer noch nicht, warum man ihn an das Bett gefesselt hatte, was für Dinger sich auf seiner Bauchdecke festgesaugt hatten oder was für eine Schauergestalt da vor ihm schwebte. Aber wenigstens konnte man mit diesem ... Monster? ... reden. »Das heißt, ich befinde mich jetzt im Haus dieses Zauberers?« »Sehr wohl, junger Herr«, wisperte sein geisterhaftes Gegenüber. »Ihr befindet Euch in der Windmachergasse Nummer 7. Mein Herr gestattet es nur sehr wenigen Besuchern, hier zu nächtigen. Euch wurde also eine große Ehre zuteil.«
»Darf ich, äh, fragen, was du, na ja, was du bist?«
»Oh ja, natürlich. Ich bin ein Poltergeist.«
Vor dem Haus ging jetzt ein Sturzregen mit solchem Getöse nieder, dass sich sogar die Rempelspinne in ihre Fensterecke verkroch.
»Wie bitte?«
»Ihr habt Euch nicht verhört«, raunte Quiiiitsss.
Kai meinte leises Bedauern in der Geisterstimme mitschwingen zu hören. »Ich spuke in diesem Haus schon seit 276 Jahren, drei Monaten, vier Tagen und elf Stunden.«
»Gut, das zu wissen«, krächzte Kai. Nur mit Mühe vermochte er ein irres Kichern zu unterdrücken. »Ist es denn üblich, dass Zauberer solche, ähem, Diener wie dich haben?«
Quiiiitsss gab ein sphärisches Zischen von sich. Es klang mürrisch. »Der letzte Besitzer dieses Hauses hat mich auf überaus hinterlistige Weise eingefangen und mit schwarzen Künsten in seine Dienste gezwungen. Wahrscheinlich war er meiner fatalen Neigung überdrüssig, seine Laborgeräte zu Bruch gehen zu lassen. Ich gestehe, bei ihm war es mir aber auch eine Freude. Er war ein böser Mann. Seitdem muss ich jedem dienen, der in dieses stattliche Heim einzieht. Im Falle von Magister Eulertin ist mir das aber eine Ehre. Leider hat mein neuer Herr den unseligen Kontrakt, wenn ich ihn einmal so nennen darf, nicht aufheben können. Aber er hat mir versprochen, daran zu arbeiten. Eure Frage beantwortet das natürlich nicht. Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht. Es ist auch schon eine Weile her, dass ich mit anderen meiner Art gesprochen habe. Unsereins ist recht standorttreu, wenn Ihr versteht, was ich meine?«
»Nein. Ehrlich gesagt nicht«, japste Kai und zerrte an den Lederschlaufen um seine Arm- und Fußgelenke. Doch seine Befreiungsversuche waren zwecklos. »Es hat etwas mit der Art und Weise zu tun, wie unsereins zu Tode kommt«, quasselte Quiiiitsss redselig weiter, während er mit einem seiner Geisterarme nach einer leeren Flasche griff. »Also Ort und Umstände des Todes, Stellung der Planeten, Mondphasen und so weiter und so fort. Magister Eulertin war so frei, mich darüber aufzuklären. Ein guter Zauberer. Ein großer Zauberer.« Der Poltergeist beugte sich geschäftig über Kai und zerrte mit seinen Geisterfingern an einem Wurm.
»Autsch!«, fluchte Kai.
Ein leises Schmatzen ertönte, als Quiiiitsss das Ekelwesen von Kais Bauchdecke zupfte. Er mochte sich irren, aber Kai schien es, dass über das entstellte Gesicht des Polstergeistes ein schadenfrohes Lächeln huschte, als er den Wurm in das Glas plumpsen ließ.
»Schließlich hätte aus mir auch ein veritabler Spuk werden können«, fuhr Quiiiitsss fort, so als sei nichts geschehen. »Oder ein richtiges Schreckgespenst. Oder ein anderer Geist mit etwas mehr Würde. So einer wie der Blutige Pfeifer, der jenseits der Elbe sein Unwesen treibt. Oder die berühmte Weiße Frau. Die kennt Ihr doch, oder?« Kai schüttelte den Kopf.
»Bedauerlich«, seufzte Quiiiitsss. »Sehr bedauerlich. Nun ja, bei meinem damaligen Lebenswandel hat es wohl leider nur für diese Erscheinungsform gereicht.« »Und was war das für ein Lebenswandel?« Obwohl Kai Quiiiitsss durchaus dankbar dafür war, dass er ihn von den Würmern befreite, lief ihm in seiner Nähe eine Gänsehaut nach der
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