Die Chroniken der Nebelkriege 1: Das Unendliche Licht
damit zu verschwenden, dich den Umgang mit der Magie zu lehren ? Wach auf, Junge! Es dreht sich nicht alles nur um dich. In den letzten Tagen hat Mort Eisenhand weitere Irrlichtjäger im Umland Hammaburgs überfallen. Sogar hier in Hammaburg sind die Irrlichtlaternen zweier ganzer Straßenzüge geraubt worden. Mitten in der Stadt! Und wir wissen noch immer nicht, welche Teufelei er plant. Trotzdem bin ich Stunde um Stunde an deiner Seite. Und warum ? Weil ich geschworen habe, deinen Geist gegen die Macht zu wappnen, die in dir wütet. Ein Versprechen, das ich nur deswegen halte, weil ich noch immer nicht die Hoffnung aufgegeben habe, dass du standhältst. Schmerzen?« Der Däumling schnaubte verächtlich. »Was du derzeit erleidest, sind keine Schmerzen. Nicht im Vergleich zu dem, was dir bevorsteht, wenn du versagst. Hast du erwartet, dass ich dich mit Honigkuchen voll stopfe, um dich zu retten? Hör endlich auf mit deinem Gejammer! Ich habe geschworen, deinen Körper und deinen Geist zu stählen! Denn die Schatten werden dich versuchen, Junge! Sie werden jede deiner Schwächen nutzen, um dich zu Fall zu bringen. Wie willst du diesen Angriffen widerstehen, wenn du deine verwundbaren Stellen nicht einmal kennst? Es geht hier um nichts Geringeres als um dein Leben! Wann begreifst du das endlich? Und nun frage ich dich zum letzten Mal: Willst du aufgeben? Willst du jetzt, hier und heute, dein Versagen eingestehen? In diesem Fall geh rauf, pack deine Sachen und mach, dass du aus dem Haus kommst! Ich werde dich nicht daran hindern.«
»Nein«, schluchzte Kai.
»Du sprichst so leise. Ich habe dich nicht gehört«, zischte Eulertin.
»Nein!«, schrie Kai.
Die unsichtbare Macht ließ ihn los und er rutschte auf den Fußboden zurück. »Gut«, seufzte der Magister und schwebte auf seinem Gänsekiel so dicht an Kai heran, dass sie ihn an der Wange kitzelte. In der feinen Stimme des Zauberers schwang zum ersten Mal eine Spur Mitleid. »Dann wäre das entschieden. Ich bin nicht dein Feind, Kai. Versuche dich darauf zu besinnen, wozu all diese Übungen dienen. Sie sollen dich stark machen. Du hast keine andere Wahl, dir läuft die Zeit davon. Ich muss dir innerhalb von Wochen beibringen, was andere erst in vielen Jahren begreifen. Ja, ich versuche, dich an deine Grenzen zu führen. Und wenn du dem nicht standhältst, bist du verloren. Dann kannst du nur noch darauf warten, bis das Tier in dir erwacht und dich bis auf den Grund deiner Seele zernagt. So lange, bis nichts Menschliches an dir mehr übrig ist. Hast du mich verstanden?« Kai nickte erschöpft.
»Gut, dann fang endlich an, dich anzustrengen. Für heute hast du frei.« Kai hatte sich nach dieser Lektion zurück auf sein Zimmer geschleppt und sich müde und zerschlagen auf sein Bett geworfen. Schlaf hatte er dennoch keinen gefunden. Doch er hatte begriffen, dass er die Qualen um seiner selbst willen aushalten musste. Nicht um Magister Eulertin zu gefallen, nicht, um ein herausragender Zauberer zu werden, sondern um sich vor einem grausamen Schicksal zu bewahren.
Kai beschloss zu kämpfen.
Die Übungen und Aufgaben, die ihm der Däumlingszauberer Tag für Tag abverlangte, waren noch immer hart. Härter als alles, was er bis dahin zu ertragen gehabt hatte. Doch Kai begann sein Schicksal zu akzeptieren und den Druck, der auf ihm lastete, mit Gleichmut hinzunehmen. Letztlich war es so, wie es ihm der Magister gesagt hatte: Er hatte keine Wahl. Kampf oder Untergang. Leben oder Tod.
Bereits zwei Tage später gelang es ihm endlich, eines der Hühnereier allein durch seine Willenskraft schweben zu lassen. Es blieb unversehrt. Und er schaffte die Übung auch an den darauf folgenden Tagen. Diesmal auch mit Schreibfedern, Knochenwürfeln und Steinen. Es war das erste Mal, dass Kai erfolgreich Zauberei angewandt hatte. Und es war auch das erste Mal, dass Kai ein Lächeln über des Magisters Lippen hatte huschen sehen. Zur Belohnung hatte der Däumlingszauberer sogar versprochen, ihm in den nächsten Tagen die Stadt zu zeigen. Kai hatte zu diesem Zeitpunkt fast schon vergessen gehabt, dass um das Haus des Zauberers herum noch andere Menschen lebten.
Eines Nachts wurde er abermals durch ein lautes Rumpeln geweckt. Inzwischen hatten sich sein Geist und sein Körper an den unerbittlichen Rhythmus gewöhnt, den ihm sein winziger Lehrmeister aufzwang. Und so wusste Kai diesmal, dass das eigentümliche Geräusch nicht seinen Träumen entsprungen war. Wer oder was also hatte
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