Die Chroniken der Nebelkriege 1: Das Unendliche Licht
Hauseingang gegenüber zurückgezogen.
Stille kehrte ein. Im Zwielicht war nur noch die hagere Gestalt vor dem Eingang zum Hinterhof zu sehen, die lässig an der Wand lehnte und leise ein Liedchen summte. Kai verfluchte seine Dummheit. Natürlich. Das roch verdächtig nach einem Hinterhalt. Aber wem galt die Falle ? Gespannt wartete Kai ab, was passierte. Zwei betrunkene Matrosen wankten vorüber, die bei den Männern ebenso wenig Beachtung fanden wie der Wasserträger, der nach ihnen das Gässchen hinaufeilte. Plötzlich stimmte die Gestalt an der Hauswand eine andere Melodie an. Kai bemerkte, dass der Messerträger hinter der Regentonne in Lauerstellung ging. Die Umrisse einer zierlichen Gestalt wurden sichtbar, die vorsichtig die Gasse entlang huschte. In der Dämmerung konnte Kai nicht erkennen, um wen es sich handelte, aber irgendwie kam ihm die Person bekannt vor. Der Unbekannte sah sich wachsam um und blieb stehen.
»Hallo, suchst du mich?« Der Kerl, der beim Hinterhof gestanden hatte, trat vor und spuckte gelangweilt zu Boden.
»Kann schon sein«, war eine melodische Stimme zu hören. »Trägst du den Stab bei dir?«
Bei allen Moorgeistern, das war Fi!
»Aber natürlich«, antwortete der Fremde gedehnt. »Aber erst will ich das Gold sehen.« Kai beobachtete, dass sich der Hüne auf dem Vordach leicht bewegte. Endlich begriff er, was der Kobold mit dem Hinweis gemeint hatte, dass man sich aus dem Netz selbst mit Zauberkraft nicht befreien konnte. Ganz sicher war der Elf damit gemeint gewesen.
»Fi, pass auf! Eine Falle!« Kai sprang aus seinem Versteck hervor und blickte sich gehetzt um. Der Kopf des Elfen flog zu ihm herum, dann machte Fi einen eleganten Satz zur Seite. Keinen Augenblick zu spät, denn schon klatschte das Netz aus Nixenhaar auf die Straße. Hinter dem Elfen flog eine Tür auf und einer der beiden Hünen drängte auf die Gasse. In seiner Rechten hielt er ein Kurzschwert. Sein Kumpan auf dem Dach gab nun ebenfalls seine Deckung auf und machte sich fluchend an den Abstieg. Der Kerl hinter der Regentonne wandte sich mit gezücktem Messer Kai zu. Fi reagierte schnell. Mit einem kräftigen Tritt kickte er seinem Angreifer die Waffe aus der Hand und stieß ihn hart zur Seite. Gerade noch rechtzeitig, denn schon warf sich der zweite Hüne von hinten mit Gebrüll auf ihn.
Nur aus den Augenwinkeln bekam Kai mit, dass bereits der nächste Angreifer angerannt kam.
Wumm, wumm. Kais Herzschlag beschleunigte sich.
Wumm, wumm. Kai fühlte Zorn in sich aufsteigen.
In seinen Eingeweiden brannte es. Es war das gleiche Gefühl wie damals bei der Mühle. Nein, es war sogar schlimmer. Es war, als würde ihn etwas von innen zerreißen. Eulertin hatte Recht. Das Tier, das in seinem Inneren lauerte, ergriff Besitz von ihm. Kai schrie laut auf und taumelte zurück.
Keinesfalls durfte er sich von dem Feuer, das in ihm tobte, überwältigen lassen. Er musste das Tier zügeln. Er musste es bändigen und die Kräfte in sich kanalisieren. Kai dachte verzweifelt an die Übung mit den schwebenden Hühnereiern zurück. Er würde dem Angreifer mithilfe seiner Gedankenkraft die Waffe entreißen. Gebieterisch streckte er dem Messerträger seine Hände entgegen und versuchte den Strom der Macht zu lenken, die ihn zu überwältigen versuchte.
Kai ächzte. Es war, als bräche ein Vulkan in ihm aus. Zu stark. Das Tier in ihm war zu stark!
Wie durch einen Schleier nahm Kai wahr, wie der Fremde gegen eine unsichtbare Wand prallte und sein Schrei durch die Gasse hallte. Wie von Geisterhänden gepackt wirbelte der Mann durch die Luft und blieb zwei Schritte über dem Erdboden hängen. Kai stemmte sich verzweifelt gegen die Macht, die er entfesselt hatte. Seine Beine zitterten und ihm traten Schweißperlen auf die Stirn. Das Ziehen und Reißen, das von seinen Fingerkuppen und von seinem Kiefer ausging, verebbte. Doch das Tier wollte nun mehr. Viel mehr! Es schrie und brüllte in ihm: Töte! Töte! Töte!
»Neiiiiiin!« Kai musste all seinen Willen aufbieten, um das Feuer in sich zu ersticken. Verzweifelt umschloss er die Flöte in seinem Gürtel - und auf einmal war ihm, als würde eine schwere Last von seinen Schultern genommen. Das Feuer erstarb, so wie es aufgeflammt war. Jäh stürzte der Messerträger zwischen die Kämpfenden und riss die beiden Hünen zu Boden.
Keuchend klappte Kai zusammen.
»Los, komm!« Eine Hand packte ihn und riss ihn hoch. Kai entdeckte wie im Nebel Fi neben sich. Die vier Angreifer hatten
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