Die Chroniken der Nebelkriege 2: Der Eisige Schatten
dass das unter uns bleibt?«, bat er ihn eindringlich. »Ich verspreche es«, antwortete Kai.
»Ein Nachtmahr vermag es, die dunkelsten Ängste seines Opfers ans Licht zu zerren. Sie erscheinen dir zunächst als Trugbild ... Ich schätze, du weißt, wovon ich spreche?« Kai nickte und dachte beklommen an Fis Tod zurück, der ihm im Turm vorgegaukelt worden war. Tatsächlich, dies war seine größte Angst.
»Ein Nachtmahr vermag noch viel mehr«, sprudelten die Worte aus dem Magister heraus. »Jene seiner Opfer, die er verletzt, sind von diesem Augenblick an gezeichnet. So lange, bis sich der Fluch dieses Monsters erfüllt.«
»Und das heißt?«
»Der Fluch des Nachtmahrs, Junge, besteht darin, dass sich dein schlimmster Albtraum erfüllt. Und es gibt keinen Zauber, der dieses Unheil abwenden kann.«
Kai riss erschrocken die Augen auf. »Magister, wie könnt Ihr Euch dessen so sicher sein? Dagegen muss es doch ein Mittel geben. Immerhin haben wir die Kreatur besiegt. Vielleicht ...«
»Nein!« Der Däumlingsmagier schnitt ihm scharf das Wort ab. »Ich habe bereits gegen einen Nachtmahr gekämpft und ihn in die Schatten zurückgeworfen. Es hat mir nichts genützt. Die größte Schreckensvision, die mich damals plagte, erfüllte sich dennoch auf grausame Weise.«
»Und was war das ?«
Der Magister zögerte. »Dass meiner Familie ein Unheil widerfährt. Der Fluch erfüllte sich an meinen Brüdern Melber und Florin. Sie wurden von einer unheimlichen Seuche dahingerafft und es gab kein Heilmittel dagegen.«
»Weiß Amabilia davon?«
Der Magister schüttelte den Kopf. »Ich habe es bis heute nicht gewagt, ihr die Wahrheit zu erzählen. Sicher würde sie dann nie wieder etwas mit mir zu tun haben wollen.« »Sie mag Euch«, meinte Kai mitfühlend. »Sehr sogar.«
»Hat sie dir das gesagt?« Hoffnungsvoll blickte ihn der Magister an und zuckte im gleichen Moment mit den Schultern.
»Wenn sie es erfährt, wird sie mich hassen. So viel ist gewiss. Und jetzt lass uns endlich gehen.«
»Einen Moment!« Kai hielt den Zauberer ein weiteres Mal auf. »Ihr habt mir noch nicht gesagt, welche Eurer Ängste sich jetzt erfüllen könnte?«
»Könnte.«, schnaubte der Däumling. »Der Fluch des Nachtmahrs wird sich erfüllen. Meine größte Angst ist, dass ich dir in deinem Kampf gegen Morgoya nicht mehr beistehen kann.«
»Und wie ... wie soll das geschehen?«, fragte Kai stockend.
»Ich habe miterlebt, wie ich meine Zauberkräfte verloren habe. Ich war nur noch ein schwacher, hilfloser Däumling, den jeder zweitklassige Diener Morgoyas unter seinen Stiefelabsätzen zertreten könnte. Mach dich also darauf gefasst, dass du bald alleine dastehen wirst, Junge.«
Kai wurde flau im Magen.
»Was ist mit euch?«, schallte aus dem Wald der Ruf Fis. »Kommt ihr?« »Ja, sofort!«, krächzte Kai.
Eulertin schwebte jetzt direkt vor seinem Gesicht. »Kai, erinnere dich daran, was du mir versprochen hast. Auch Fi und Gilraen wird der Fluch des Nachtmahrs ereilen. Unsere Lage ist so hoffnungslos wie noch nie zuvor. Bitte behalte dein Wissen unbedingt für dich. Erzählst du ihnen, wie sich dieser Fluch auswirkt, riskieren wir, dass unsere Gemeinschaft an dieser Wahrheit zerbricht. Verstehst du mich?«
»Ja«, flüsterte der Zauberlehrling. »Ich verstehe.«
»Gut. Dann lass uns weiterziehen.«
Schatten über Fryburg
Kai schreckte hoch und spürte, wie sein Herz in der Brust hämmerte. Wie lange hatte er geschlafen ? Es k onnten nur wenige Stunden gewesen sein, denn er fühlte sich wie zerschlagen. Der zurückliegende Gewaltmarsch und die durchwachte Nacht hatten ihre Spuren hinterlassen. Kaum erhob er sich von seinem Mooslager, jagten Wellen des Schmerzes durch seinen Körper. Neben ihm lag die schlafende Fi, Gilraen und Eulertin jedoch waren nirgends zu sehen.
Sie hatten in einer verlassenen Köhlerhütte Zuflucht gefunden. Kai fröstelte, denn beständig säuselte der Wind durch Ritzen und Nischen in den Wänden, und durch das weit klaffende Loch im Dach war der Mond auszumachen. Hell und klar leuchtete er am Firmament.
Das alte Häuschen lag am Rande einer Lichtung, in deren Nähe sich ein verkrauteter Hohlweg durch den Wald schlängelte. Ging es nach dem Magister, würden sie noch diese Nacht weiter gen Süden ziehen. Er hatte ihnen klargemacht, dass sie hier nur so lange rasten würden, bis Dystariel sie eingeholt hatte.
Kai erinnerte sich wieder daran, warum er wach geworden war. Ein schrecklicher Albtraum hatte ihn
Weitere Kostenlose Bücher