Die Chroniken der Nebelkriege 2: Der Eisige Schatten
nuschelte eine der Hexen durch ihre Zahnlücke hindurch. »Wir habennach der Letzten Flamme gesucht, sie aber nicht gefunden.« »Ja, du sprichst in Rätseln, Amabilia.« Roxana trat interessiert heran. »Seit Illume Feuerblatt ermordet wurde, habe ich euch aufgetragen, Augen und Ohren offen zu halten. Wenn du glaubst, Wildegrimm könnte uns dabei helfen, den letzten Feuerzauberer zu finden, irrst du dich. Er ist mächtig. Aber nicht allmächtig.« Amabilia blickte Roxana forsch in die Augen. »Was, wenn ich die Letzte Flamme gefunden habe?«
Erregtes Gemurmel setzte ein und die Hexen drängten neugierig heran. Roxana bemerkte erst jetzt, dass Amabilia nicht allein gekommen war.
»Du hast ... die Letzte Flamme ausfindig gemacht?«, flüsterte die Oberhexe ungläubig. »Einen Däumlingsjungen?«
»Nein, ich bin kein Däumling!«, rief Kai und wusste sogleich, dass sein Ruf kaum zu hören sein würde. »Ich bin ein Mensch!«
»Er ischt kein Däumling, er ischt ein Mensch!«, übersetzte die zahnlose Alte, auf deren Handfläche sie standen.
»Er soll es beweisen!«, schrie von irgendwoher eine Hexe.
Auf ein Kopfnicken von Amabilia hin beschwor Kai einen Feuerwusel herauf und jagte ihn als Kugelblitz in den Nachthimmel.
Der Hexenplatz verwandelte sich in ein Tollhaus. Jeder wollte jetzt einen Blick auf Kai werfen und die alte Hexe hinter ihm schwankte bereits bedrohlich.
»Genug!« Roxana trieb ihre Mitschwestern ungestüm auseinander und bedachte Kai mit einem verführerischen Lächeln. »Dass es ausgerechnet uns glücken würde, dich zu finden, Feuerzauberer, hätte ich niemals für möglich gehalten. Natürlich wird es uns eine Ehre sein, dir zu helfen.«
Roxana duftete so betörend, dass Kai einen Moment lang glaubte, den Verstand zu verlieren.
»Das ist sehr nett von Euch«, krächzte er.
»Und was glaubst du, können wir für ihn tun?« Roxana wandte sich wieder Amabilia zu. »Er ist ein Wilder, so wie wir«, erklärte diese mit stillem Ernst. »Er wuchs im Norden als Irrlichtjäger auf, bis ich sein Talent entdeckte.«
Kai beäugte Amabilia aus den Augenwinkeln heraus. Sicher bekam sie Schwierigkeiten, wenn ihre Hexenschwestern herausfanden, wie eng ihre Beziehung zu Magister Eulertin war.
»Gut gemacht, Amabilia. Sehr gut sogar.« Roxana nickte der Däumlingshexe anerkennend zu. »Und?«
»Lasst uns den Geist des Berges bitten, ihm einen Zauberstab zu schenken. Er besitzt schon einen, doch dieser verfügt über die falsche Form und Gestalt.«
Auf einen Wink Amabilias hin hob Kai seine Zauberflöte hoch.
»Allerdings gibt es da noch ein Problem«, verschaffte sich Amabilia wieder Gehör. Das Getuschel und Geflüster um sie herum erstarb ein weiteres Mal.
»Wir dürfen uns nichts vormachen. Auch wir Hexen können nicht ausschließen, dass unter uns eine ist, die von Morgoya verführt wurde. Keinesfalls darf herauskommen, dass wir die Letzte Flamme gefunden haben. Wir müssen sicherstellen, dass unser Geheimnis gewahrt bleibt!«
»Dann sollten wir den Geist des Berges um einen weiteren Gefallen bitten!« Es war Ginster, Amabilias Freundin. »Wildegrimm muss jede Einzelne von uns prüfen. Wenn sich eine Schwester unter uns befindet, die sich den Schatten verschrieben hat, müssen wir sie noch diese Nacht zur Strecke bringen.«
»Ginster.« Roxana seufzte gereizt. »Du vergisst, dass die Finsternis auf dem Schwarzen Berg keine Macht mehr hat, seit wir Wildegrimm geheilt haben. Sollte sich also wirklich eine von uns den Schatten verschrieben haben, dann befindet sich diese Schwester heute sicher nicht hier. Ich wünsche daher, dass ihr euch umschaut. Solltet ihr eine unserer Schwestern heute vermissen, verlange ich, dass ihr Meldung erstattet. Und jetzt« - sie klatschte in die Hände - »lasst uns ans Werk gehen.«
Die Hexen wirkten wie ausgewechselt. Unter lautem Kreischen und Krakeelen stoben sie auseinander.
»Es ist wie jedes Jahr«, stöhnte die Däumlingszauberin. »Jetzt dauert es wieder eine Weile, bis sie sich darauf geeinigt haben, wer neben wem Aufstellung nimmt. Du musst wissen, dass sich viele meiner Hexenschwestern untereinander nicht ausstehen können.«
»Isch wäre schon froh drum, wenn isch überhaupt mitmachen könnte«, nuschelte die zahnlose Lupura, auf deren Hand sie standen. »Aber esch ischt scheit dem letschten Jahr nischt bescher geworden. Mein schlimmer Rücken macht die Tanscherei nicht mehr mit.«
Kai sah zu, wie die Hexen nach und nach einen Kreis um Felsen und
Weitere Kostenlose Bücher