Die Chroniken der Nebelkriege 2: Der Eisige Schatten
gefährlich. Die Finsternis hatte seinen Verstand umnebelt und er brachte viel Unglück über die Harzenen Berge. Sogar die Drachen mieden diesen Ort. Doch seit wir einen Weg fanden, ihm die Finsternis auszutreiben, weissagt er uns und lehrt uns Dinge, von denen wir ohne ihn keine Kenntnisse besäßen. Und du bist hier, weil ich hoffe, dass er deine Flöte in einen richtigen Zauberstab verwandeln kann.« »Was?« Kai griff zu dem Instrument an seinem Gürtel und blickte Amabilia skeptisch an. »Meint Ihr denn wirklich, das ist notwendig?«
»Es liegt an dir«, sprach die Däumlingshexe und rückte ihre Brille zurecht. »Du bist ein Zauberer, Kai. Heute ist der Zeitpunkt gekommen, da du den Irrlichtjäger in dir zurücklassen musst. Wenn du gegen Morgoya bestehen willst, brauchst du alle Hilfe, die du bekommen kannst!«
Kai nickte zögernd und bemerkte, dass immer mehr der Hexen auf ihn aufmerksam wurden. Sie beäugten ihn argwöhnisch und tuschelten.
In diesem Moment erhob sich ein »Ah« und »Oh« unter den Zauberinnen. Eine dunkle Wolke nahte heran und zog einen dichten Regenschleier hinter sich her. Sie hatte bereits den Mond zur Hälfte verdeckt, als es laut grollte und blitzte. Kai und die Hexen mussten ihre Augen gegen das grelle Licht des Blitzes abschirmen. Als sie wieder sehen konnten, hockte eine schwarze Katze auf dem großen Felsen und machte einen Buckel. Das Tier miaute sanft und verwandelte sich von einem Augenblick zum anderen in eine junge Frau mit langen schwarzen Haaren, während sich die dunkle Wolke am Nacht- himmel auflöste.
»Roxana!«, flüsterte Amabilia beeindruckt. »Das muss man ihr lassen, ihre Auftritte inszeniert sie einfach meisterhaft.«
Atemlos starrte Kai Roxana an. Noch nie hatte er eine so verführerische Frau gesehen. Sie bewegte sich mit der Anmut einer Wildkatze, und während sie ihr langes, schimmerndes Haar zurückstrich, lächelte sie den Hexen huldvoll zu. Eine erwartungsvolle Stille senkte sich über den Hexenplatz.
»Ich freue mich, dass ihr alle wieder zusammengekommen seid, Schwestern«, sagte Roxana und lächelte.
»Ich dachte, die ist ein paar hundert Jahre alt«, flüsterte Kai und ärgerte sich darüber, dass er nur Däumlingsgröße besaß. Ständig versperrten ihm irgendwelche Hexen den Blick.
»Dieses Jahr«, fuhr Roxana mit ihrer rauchigen Stimme fort, »steht unser Fest unter keinem guten Omen. Wir wissen alle, dass von Norden her ein Sturm heraufzieht. Schon seit Jahren können diejenigen unter uns, die mit dem dritten Auge gesegnet sind, die Zeichen erkennen. Und wieder wissen wir nicht, ob wir heute für lange Zeit zum letzten Mal den Geist dieser Berge anrufen werden. Wir sollten uns daher gut überlegen, um welche Gabe wir Wildegrimm heute Nacht...«
»Roxana, ich muss zu Euch und den anderen Schwestern sprechen«, zerschnitt die magisch verstärkte Stimme Amabilias barsch die Nacht. Roxana runzelte die Stirn. Offenbar war sie es nicht gewohnt, dass jemand sie unterbrach. Als sie sah, wer gesprochen hatte, glätteten sich ihre Züge wieder.
»Amabilia ? Was gibt es ?«
»Einen Moment«, antwortete die Däumlingsfrau. »Lupura, wenn du uns bitte hochheben könntest.«
Eine alte runzelige Kräuterhexe, deren Kleidern ein strenger Geruch nach Holzkohle und Schweiß entströmte, bückte sich mit knackenden Gliedern und nahm Kai und Amabilia hoch.
»Entschuldigt, große Mutter, dass ich Euch so rüde unterbrach«, wandte sich Amabilia mit leichter Verneigung an Roxana. »Aber ich bin mir sicher, wenn Ihr mich angehört habt, versteht Ihr, dass meine Bitte keinen Aufschub duldet.«
Amabilia wandte sich zu den vielen anderen Hexen um.
»Roxana hat mit ihrer Warnung Recht«, rief die Däumlingshexe der Menge zu. »Ein Sturm zieht aus dem Norden herauf. Ein Sturm, der unser aller Leben von Grund auf verändern wird. Drei Schwestern haben in den vergangenen Jahren ihr Leben gelassen und wir alle kennen den Grund dafür. Ihr Element war das Feuer!«
Ein Raunen und Wispern geisterte über den Platz.
»Jede von euch weiß, wer für den Tod unserer Schwestern die Verantwortung trägt«, fuhr Amabilia fort. »Morgoya von Albion hat sie auf dem Gewissen! Die Elende ist auf der Suche nach der Letzten Flamme! Erlischt sie, sind wir alle verloren. Aus diesem Grund, Schwestern, flehe ich euch an. Lasst uns den Geist des Berges diese Nacht bitten zu helfen, dass die Letzte Flamme für alle Zeiten heiß und hell brennt!«
»Wie sollen wir das machen?«,
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