Die Chroniken der Nebelkriege 3: Die Letzte Flamme
Strigen um und bemerkte, dass der Sitzplatz der toten Schatteneule von den anderen Vögeln nicht einsehbar war. Mehr noch, die ausgeschaltete Strige war auch die einzige, die einen direkten Blick auf den Eingangsbereich besessen hatte. Ein Umstand, den Amabilia umgehend ausnutzte. Aus den Balken vor der Tür wuchsen unvermittelt junge Triebe und Zweige. Rasend schnell schwollen sie zu dicken Ästen an, die sich dem Untergrund entgegenreckten. Es knarrte, quietschte und ächzte, als sich Holz verformte und sich Nägel verbogen. Die geisterhaft beseelten Balken stemmten sich nun von selbst aus ihren Verankerungen, richteten sich auf und verharrten links und rechts neben dem Eingang.
Abermals sah Kai zu den Toteneulen auf. Keine von ihnen schien etwas bemerkt zu haben.
Vor ihm knarrte es und wie von Zauberhand bewegt, schwang die Eingangstür auf. Äschengrund suchte mit einer Hand Kais Kopf und bedeutete ihm, sich zu ducken, während Kristallfell direkt durch das Türportal hindurch in die dunkle Eingangshalle des Zunfthauses trabte. Hinter ihnen schloss sich die Tür wieder.
»Sieht ganz so aus, als ob wir diese Strigen ausgetrickst hätten«, hallte leise die Stimme des Däumlingszauberers auf. »Trotzdem, bleibt vorsichtig.«
Der magische Splitter auf Magister Eulertins Zauberstab erstrahlte in fahlblauem Licht. Kai sah sich bestürzt um. In der Empfangshalle ihres Heims herrschte ein heilloses Durcheinander. Überall lagen Glassplitter und herausgerissene Buchseiten herum. Die unheimliche Standuhr an der Stirnseite der hohen Diele war fortgeschafft worden, die drei ausgestopften Tierköpfe, die Schutzgeister des Hauses, hingen zerfetzt an der Wand und das Modell der Kogge, das noch bis vor wenigen Wochen die Halle geziert hatte, lag zerbrochen vor ihnen. Einzig die Kette, an der das Schiffsmodell gehangen hatte, baumelte noch von der Decke herab. Die unbekannten Eindringlinge hatten nicht einmal vor den mit Wolken und Windgeistern bemalten Bodenfliesen haltgemacht. Manche der Kacheln waren aufgestemmt worden, durch andere zogen sich tiefe Sprünge.
»Die haben ganze Arbeit geleistet«, wisperte Amabilia betroffen.
»Ja, das kann man so sagen.« Magister Eulertin blickte sich betrübt um. Kriwa wurde wieder sichtbar und segelte zusammen mit den beiden Däumlingen hinüber in das benachbarte Studierzimmer.
Mit dem kleinen Magier entschwand das blaue Licht, und so entzündete Kai nun seinerseits eine kleine Flamme am Ende seines Stabes und half dem Drakologen abzusitzen. Mehr Licht zu machen, traute er sich nicht. Denn trotz der vernagelten Fenster befürchtete er noch immer, dass die Strigen jeden Augenblick auf sie aufmerksam wurden. Als hege Olitrax ähnliche Befürchtungen, stieg der kleine Drache zur Hallendecke auf und krallte sich an die herabhängende Kette. Von dort aus behielt er leicht schaukelnd Türen und Sprossenfenster im Auge.
Fi kontrollierte längst die Treppe zum Obergeschoss.
»Oh nein«, war Eulertins gedämpfte Stimme aus dem Nachbarraum zu hören. »Sie haben die Tür zum Dachboden aufgebrochen.«
Kai eilte nun ebenfalls hinüber zum Studierzimmer und blieb schockiert stehen. Der Raum war völlig verwüstet. Die Buchregale lagen umgestürzt zwischen Glas- und Tonscherben am Boden, jemand hatte das schwere Lesepult auf der Suche nach Geheimfächern zerhackt und es stank nach ausgekippten Zaubertinkturen. Alles, was wertvoll gewesen war, war abtransportiert worden: teure Laborgeräte, alte Folianten und seltene Zauberhilfsmittel.
In diesem Moment ertönte ein Flattern aus der Stiege zum Dachboden und Kriwa schoss wieder in den Raum. Die Möwe landete auf den zerschlagenen Resten des Lesepults.
»Oben das gleiche trostlose Bild«, hub Eulertin wütend an. »Alles, was uns noch hätte nützen können, ist fort.«
»Etwa auch die Kristallkugel von Morbus Finsterkrähe?«, wollte Kai wissen. Der Däumlingsmagier nickte.
»Dann sollten wir uns jetzt dringend nach Quiiiitsss umsehen«, schlug Fi vor. »Ich bin bereits hier, meine junge Dame«, drang es hohl und seufzend aus dem Kamin. Kais Nackenhaare stellten sich auf, als ein Nebelstreif aus dem Rauchschacht sickerte und sich über einem Haufen zerrissener Pergamente zu einer grauenhaften Geistergestalt mit überlangen Nebelarmen und einem Schädel manifestierte, der einem aufgedunsenen Kürbis ähnelte.
»Beim Unendlichen Licht!« Amabilia klammerte sich an Eulertins Schulter fest. »Das ist euer Hausgeist?«
»Kein gewöhnlicher
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