Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)
und zerriss die dünne Haut, die schützend über seinen Erinnerungen gelegen hatte. Grell brachen die Farben in ihnen auf und fluteten jeden, den sie trafen, mit ihrer Macht.
Instinktiv warf Nando sich zu Boden. Noemi riss einen Schutzwall über ihren Kopf, und Kaya sauste in die Geige, um mit schreckgeweiteten Augen auf das Geschehen zu blicken. Oft genug hatte Antonio sie gelehrt, dass kein Sterblicher die reinen Gefühle eines Engels ertragen konnte. Selbst für andere Sklaven des Lichts waren die Empfindungen eines mächtigeren Engels gefährlich, und Nando schauderte, als laute Schmerzensschreie über den Platz hallten. Jeder Engel, der in die Nähe der lichtgefluteten Bilder geriet, wurde von den Strahlen erfasst, und während sein Körper unkontrolliert zuckte, rasten die Gefühle eines der stärksten Engel der Schattenwelt durch seine Gedanken. Avartos stand mitten auf dem Platz. Er hatte die Augen geschlossen und die Arme ausgebreitet, als wollte er die Hologramme um sich herum gleichzeitig zerstören und beschützen.
»Schnell!« Noemi packte Nando am Arm und riss ihn vor dem grellen Schein eines Bildes zurück. Es zeigte Kiesel im Spiel schwarzer Wellen, Nando konnte sie hören, und bereits der Schemen der Erinnerung genügte, um ihn mit dem Bedürfnis zu fluten, in dieses Meer laufen zu wollen. Es war nicht seine Empfindung, das wusste er, aber sie war so mächtig, dass er sich kaum dagegen wehren konnte. Hätte Noemi ihn nicht festgehalten, wäre er mitten in die Erinnerung hineingerannt. »Wir müssen hier weg!«, rief sie gegen die Klänge an, die nun zunehmend lauter aus den Hologrammen brachen. »Wenn uns das Licht trifft … «
Ihre Worte gingen im Donnern der Mauern unter, die plötzlich von Rissen überzogen wurden. Weitere Erinnerungen brachen aus ihnen hervor, düstere Bilder waren es nun, die jedes Kinderlachen, jedes Glück, jede Unbeschwertheit mit einem Schlag vernichteten. Nando griff nach der Geige und zog Noemi in eine der dunklen Nischen. Atemlos sah er, wie Dämonen über die Burg hereinbrachen, wie sie Engel erschlugen und die Magie der Schatten über dem einst friedlichen Ort ausschütteten. Krieg war über die Burg gekommen, der Boden färbte sich schwarz vom Blut der gefallenen Engel, und die Schreie der Dämonen zerrissen die Luft.
Nando sah alles so deutlich vor sich, als würde es gerade passieren. Avartos stand inmitten des Chaos wie ein Toter, aufrecht gehalten nur von den Strömen aus Licht, die seinen Körper umfingen.
»Dieser Ort hält ihn gefangen!«, rief er außer sich. »Wir müssen ihm helfen!«
Noemi nickte. Sie streckte die Hand aus und zielte auf Avartos. Ihr Zauber war kaum zu hören, aber als der schwarze Blitz aus ihren Fingern glitt, schob sich eines der anderen Bilder in die Schusslinie. Krachend schlug der Zauber ein, das Hologramm flackerte auf und entließ einen Wüstenläufer, der in seinen Bann geraten war. Noemi atmete schwer und fixierte Avartos mit ihrem Blick. »Wir müssen näher heran! Wenn wir ihn treffen, können wir den Strom der Erinnerungen unterbrechen und ihn befreien!«
Nando ballte die Hände zu Fäusten, als er zu Avartos hinübersah. Immer wieder hatte der Engel ihm das Leben gerettet. Er würde nicht zulassen, dass er von diesem Ort zerrissen wurde. »Gib mir Deckung«, forderte er Noemi auf. »Ich hole ihn zurück!«
Eiskalt strömte das Licht des Oreymons durch seinen Körper. Er schwankte im ersten Moment, noch nie hatte er es in dieser Intensität aufbrechen lassen, aber gleich darauf drang die Glut der Bilder nur noch gedämpft zu ihm. Geschickt wich er ihnen aus, immer wieder erschütterte ein Zauber Noemis die Luft, wenn ein Hologramm ihm zu nah gekommen war, und wenige Schritte von Avartos entfernt hob er die Faust. Donnernd schoss sein Flammenwirbel durch die Luft, traf den Engel an der Schulter – und jagte dann in einer mächtigen Rückkopplung auf Nando zu. Er versuchte auszuweichen, aber schon traf ihn sein eigener Zauber und verband ihn in einem funkensprühenden Feuerschweif mit Avartos. Nando nahm den Schmerz kaum wahr. Alles, was er spürte, war die Hitze, die über diese Verbindung auf einmal in seinen Schädel schoss. Er hörte sich selbst schreien in dem Licht der Erinnerung, in das er geraten war, und ein Leuchtfeuer an Empfindungen brach in seinem Innersten auf. Angst. Verzweiflung. Entsetzen. Die Gefühle eines Kindes durchdrangen das Licht seines Oreymons, als wäre es nur falscher Zauber. Er schien es
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