Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)
früher getan hatte, wenn er wollte, dass seine Stimme einem Menschenkind das Blut in den Adern gefrieren ließ, und tatsächlich wich Noemi vor ihm zurück.
»Du willst ihn nicht retten«, brach es aus ihr hervor, als müsste sie es aussprechen, um es zu glauben. »Und Carmenya … «
Avartos fixierte sie regungslos. »Eine halbe Dämonin kann das nicht begreifen. Du kennst nur die Schatten und glaubst, dass sie alles sind, was zählt. In Wahrheit aber sind sie nichts als Illusionen, Trugbilder, die uns von den richtigen Wegen abbringen und uns in die Irre führen. Und das sind sie nicht wert, keiner von ihnen!«
Seine Worte klangen härter, als er es beabsichtigt hatte, doch sie verfehlten ihre Wirkung nicht. Ein verräterischer Glanz trat in Noemis Augen, nur schwach zurückgehalten von ihrem Stolz.
»Was weißt du davon«, erwiderte sie. »Du bist … «
»Ich bin ein Krieger des Lichts«, unterbrach er sie.
»Aber es gibt größere Mächte als das Licht der Engel!«, gab sie zurück. »Doch du wirst das nie begreifen, denn du bist ebenso kalt wie sie! Vielleicht muss man das sein, um zum Mörder zu werden!«
Avartos wusste nicht, was es war, das ihre Worte scharf wie Klingen machte. Doch etwas in ihnen schnitt ihm ins Fleisch, so tief, dass die Kälte in ihm sich mit Rissen überzog. Noemi hatte das nicht sagen wollen, das sah er ihr an, ebenso wie die Erkenntnis darüber, dass sie noch immer ein Mädchen aus den Schatten war, getrieben von ewigem Hass und Zorn. Doch in ihren Augen sah er auch sich selbst: ein stolzer, erhabener Krieger des Lichts, der auf ein Menschenkind herabsah … und auf ein Grab. Schnee fiel auf sein Gesicht, und er schaute hinunter auf das Grab seiner Mutter, schaute darauf ohne jedes Gefühl wie … sein Vater.
Der Schreck über dieses Bild ließ ihn erstarren, während Noemi weiter vor ihm zurückwich. Waren sie jemals so weit voneinander entfernt gewesen, mit Welten zwischen sich, die vielleicht keiner von ihnen jemals mehr durchqueren konnte? Ihre Augen waren schwarz. Schwarz wie ein Meer aus Tränen.
Wie in einem seltsamen Traum sah er zu, wie sie an ihm vorbeiging, hinaus aufs Schlachtfeld, wo sie, mit einem nahezu winzigen Messer in der Hand, auf Hadros zulief. Avartos wusste, dass dies der Augenblick war, in dem er Nando suchen und mit ihm fliehen musste. Noemi war verloren, ebenso wie Hadros und Carmenya, und sie hatte sich selbst dazu entschlossen.
Deutlich hörte er eine Stimme in sich, die Stimme seines Vaters, die seit jeher die Kälte in ihm geschürt und zu einem undurchdringlichen Panzer hatte wachsen lassen. Er kannte den Weg genau, den das Licht forderte – und doch ging er ihn nicht. Er stand nur da und schaute Noemi an, die sich ohne jeden Anflug von Furcht zwischen einen Engel und die Finsternis stellte.
Sie wird sterben , schoss es ihm durch den Kopf. Sie wird sterben zwischen Licht und Schatten, wenn ich sie dort draußen allein lasse.
Dieser Gedanke trieb ihn hinaus aufs Schlachtfeld. Er spürte die Hitze kaum, als ihn ein Flammenwirbel an der Schulter traf, sah nur Noemi, die sich mit wehendem Haar vorstürzte, und den Fluchzauber, der direkt auf sie zuraste. Avartos breitete die Schwingen aus, schon hörte er das Grollen der Magie, die Noemi zerschmettern wollte. Dann warf er sich vor sie und fing den Zauber mit seinem Körper auf.
Der Schmerz war heftiger als erwartet. Dornen der Nacht trafen seine Brust und gruben sich in seine Arme, Flüche, deren Macht sich in glühendem Silber in sein Fleisch bohrte und in Richtung seines Herzens vorankroch, unabänderlich und tödlich. Schon flackerte die Umgebung vor seinen Augen. Er fühlte, wie Noemi nach seinem Arm griff, schemenhaft nur erkannte er Kymbra, die sich vor Hadros aufbaute – und Nando, der in diesem Moment aus der Menge brach und auf Hadros zueilte, die Faust mit dem Schwert des Teufels hoch erhoben.
Donnernd brach gleißendes Licht aus der Klinge, und eine Druckwelle ging durch den Raum, die Avartos zurückschleuderte. Hart prallte er gegen eine der Säulen, Noemi landete nicht weit von ihm entfernt. Schwer atmend zog er sie mit sich in Deckung, aber er wandte den Blick nicht von Nando ab: von Nando, dem Teufelssohn, der ganz allein in die Schlacht zog, um einen Freund vor der Macht der Hölle zu bewahren.
37
Nando hatte keinen Namen für das, was ihn dazu trieb, direkt auf Kymbra zuzurennen. Alles, was er sah, war Hadros, der zusammengebrochen vor der Dienerin der Hölle lag, und
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