Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)
drängte alles fort, das dieses Gefühl mildern könnte – dieses Gefühl, das so mächtig war und ihn in seiner Schönheit und Schrecklichkeit mit allem versöhnte, was er war. Mochte sein Vater recht haben, mochte er in Dunkelheit und Schatten stürzen, wenn er dieser Regung folgte, aber er würde sie nicht aufgeben. Wenn ihn dieses Gefühl zu einem Dämon machte, dann sollte es so sein.
Noemis Blick ruhte auf ihm, und er flüsterte ihr seine Gedanken ins Ohr, so leise, dass er sie selbst nicht hören konnte. Sie aber umfasste seine Hand, und ein Lächeln lag in ihrer Stimme, als sie ihm antwortete. So lange , sagte sie kaum hörbar. So lange habe ich darauf gewartet.
Avartos fuhr sich über die Augen. Sie war nun so bleich, dass ihre Haut fast durchscheinend wirkte. Er wollte ihr so vieles sagen, so vieles, das sie hören musste, ehe sie … Doch sie schüttelte den Kopf und der übliche Trotz trat in ihre Augen, der jede Gegenwehr im Keim erstickte. Es war keine Furcht in ihrem Blick, keine Unruhe.
Weißt du noch, flüsterte sie, was ich dir sagte, dort zwischen den Säulen?
Er konnte nicht atmen, als sie ihre Magie in seinen Körper schickte. Zärtlich und gewaltsam zugleich erkundeten ihre Schatten jeden Abgrund in ihm und vermischten sich mit seinem Licht zu einem Zauber der Dämmerung. Deutlich spürte er nun Raars Präsenz, der Dämon erhob sich hinter ihm als ein Schreckbild aus Scherben. Schon griff er nach seinem Stab, bereit, ihn durch Avartos’ Rücken zu stoßen. Doch Noemi achtete nicht auf ihn. Sie verschränkte ihre Finger mit seinen, und Avartos gab ihr die Antwort auf ihre Frage: Es gibt größere Mächte als das Licht der Engel!
Und dann, mit einem Schrei, der ihre Stimmen vereinte, entließen sie den Zauber aus ihren Händen. Gleißend schlug er Raar entgegen, die Scherben seines Leibes entfachten sich zu schwarzem Feuer, doch die Magie ihres Zaubers stob als gewaltiger Sturm in seinen Körper. Ohrenbetäubend laut hallte das Geräusch brechender Knochen durch den Raum, Avartos zog Noemi näher an sich, um sie vor umherfliegenden Splittern zu schützen. Dann wurde es still. Raar stand reglos da, Rauch stieg zwischen den Scherben seines Leibes auf. Dann ging ein Seufzen durch die Luft. Es war, als würde der Dämon auf sie beide herabsehen, durch die blinden Schlitze seiner Maske, und seine Stimmen vereinten sich für einen Augenblick zu einem Ton vollendeter Harmonie. Keine Gier lag mehr in ihnen, kein Zorn, keine Härte, sondern fast so etwas wie Dankbarkeit. Dann erlosch der Ton, und als wäre er alles gewesen, was den Scherbenleib noch aufrechterhalten hatte, fiel er in sich zusammen. Als Insektenschwarm stob er über die Kämpfenden hinweg und verbrannte in hellem Feuer.
Avartos fühlte, wie die lähmende Kälte aus Noemis Gliedern wich, doch erst als er sie ansah, begriff er, dass Raars Zauber sie verließ: Lautlos schloss sich ihre Wunde, und der Schatten des Todes, der auf sie gefallen war, verschwand. Undeutlich hörte Avartos den Lärm der Schlacht um sich herum, spürte, wie die Dämonen sich ihnen näherten, aber in diesem Moment, da Noemi ihn ansah, befreit vom tödlichen Fluch des Dämons und ohne jede Kälte in ihrem Blick, war nichts mehr wichtig als dies: ihr Lächeln und die Wärme, die noch immer zwischen ihren Händen glomm und die nun in ihn hineinsank – eine schwarze, zärtliche Flamme der Dämmerung.
Der Schrei kam so plötzlich, dass Avartos zusammenfuhr. Erschrocken folgte er Noemis Blick. Es war ein Mönch gewesen, der diesen Laut ausgestoßen hatte, diesen Ruf aus tiefer Verzweiflung. Wie erstarrt stand der Engel da, die Arme noch zum Kampf erhoben, doch ein spitzer Dorn bohrte sich von hinten durch seinen Brustkorb. Schwarz floss sein Blut über seinen Körper und benetzte den Dämon, der hinter ihm an der Wand lehnte, den Leib noch mit Eis überzogen. Jetzt jedoch kehrte das Leben in ihn zurück, mehr als das: Er gab die Kraft des Mönchs weiter, und als dieser in seinen Klauen starb und sein Körper zu blassem Nebel wurde, ging ein Donnern durch den Raum, so tief und durchdringend, dass der Boden erzitterte. Sämtliche Dämonen, die bislang noch starr am Boden gekauert hatten, wurden nun von eisblauer Glut durchzogen. Knisternd lief die Kraft des Engelsbluts über sie hinweg, und dann, mit einem grausamen Flüstern, erreichte sie den Thron aus Eis.
42
Nando zog einem flammenden Dämon das Schwert durch die Brust und stieß ihn von sich, als die blaue
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