Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)
Locken, von Mehl bestäubt, und noch ehe das Gesicht aus dem Sturm brach, in dem er stand, fühlte Nando den Namen auf seiner Zunge. Warm war er und lebendig, und er zog ihn von dem Abgrund zurück, der nach ihm griff.
Mara , flüsterte er, und da sah er sie vor sich: Sie stand in Katnan im Innenhof des Alten Klosters, die Glut des Baumes flackerte in ihrem Blick, und sie legte die Hand auf Nandos Herz. Deutlich hörte er ihre Stimme, sie zitterte ein wenig, aber ihre Worte strichen ihm wie eine Liebkosung über die Wangen.
Ich weiß, dass du Angst hast , sagte sie. Ich weiß, dass du zweifelst, aber deine innere Stimme ist stark. Höre auf sie und halte dich an ihr fest auf deinem Weg. Dann wirst du nicht scheitern, ganz gleich, was geschieht.
Sie zog ihn an sich, für einen Moment schloss er die Augen, und er sah sie beide vor sich, Hand in Hand, wie sie aus dem Wartesaal des Krankenhauses nach draußen traten. Der Wind war kalt gewesen, Nando erinnerte sich daran, wie der Himmel unter den Blitzen zerfetzt worden war, und er hörte Maras Worte von damals so deutlich, als würde sie sie gerade aussprechen, jene Worte, die jede Kälte des Lichts und jedes Versprechen der Schatten mit einem Schlag vernichten konnten.
Keine Angst , hatte sie gesagt. Ich bin bei dir.
Dann standen sie sich im Alten Kloster gegenüber. Die Blütenblätter tanzten um sie herum, und wie damals antwortete sie auf seine lautlose Frage mit einem Lächeln.
Ja , flüsterte sie. Für immer.
Langsam verblasste ihr Bild, aber es verschwand nicht. Warm glomm es in Nandos Brust, und als er den Teufel ansah, der noch immer bei ihm kniete, sah er Maras Lächeln in seinen Augen gespiegelt.
Vater , sagte er leise. Wann wirst du es endlich verstehen?
Verstehen, mein Sohn? , fragte Luzifer. Wovon sprichst du?
Nando neigte unmerklich den Kopf. Von der Wahrheit , erwiderte er sanft. Und sosehr du dich auch dagegen wehrst, wird sie doch immer lauten: Ich bin nicht wie du. Ich gebiete nicht über Bhalvris, weil ich über deine Macht verfüge. Ich herrsche über dieses Schwert, weil ich Licht und Schatten in mir trage, und sie unterstehen meinem Willen – nicht deinem!
Luzifers Augen glommen auf, ehe dessen Bild zerriss. Nando sprang auf die Beine, so schnell, dass Kymbra nicht zurückweichen konnte, umfasste Bhalvris mit beiden Händen und stieß ihr die Klinge in die Brust. Sein Zauber schoss durch die Waffe wie ein goldener Sturm und füllte ihn selbst ganz aus, aber Nando schwankte nicht in seinem Frost. Regungslos sah er zu, wie die gleißende Kraft des Lichts Kymbras Leib verzehrte, sah mit der Gleichgültigkeit eines Engels zu, wie sie verbrannte – doch tief in seinem Inneren glomm ein Bild in der Dunkelheit, und es wärmte ihn in jeder Kälte des Lichts.
Der Sturm breitete sich im ganzen Saal aus. Er fraß Kymbras Leib ebenso wie ihre Armee der Toten. Kymbras Körper zerfiel in unheilvollem Raunen zu Asche, doch als sie sich auflöste, sah Nando jemanden inmitten der wirbelnden Flocken liegen – gerade dort, wo die Schwinge der Ewigkeit verschwunden war.
Auf den ersten Blick sah der nackte Körper aus wie der eines Engels. Lange Schnitte auf seinem Rücken markierten die Stellen, an denen einst seine Schwingen gewesen waren, doch als Nando näher herantrat, erkannte er, wer es war. Dort, den verklingenden Herzschlag wie ein Donnergrollen durch den Boden sendend, lag Pherodos, Krieger des Feuers, und sah aus dunklen Augen zu ihm auf. Auch ihn hatte Nandos Zauber getroffen, doch die Verwundung reichte tiefer – viel tiefer, als er erahnen konnte. Es war, als hätte der Krieger etwas darin gefunden, das er lange vergessen hatte, und während die Düsternis langsam aus seinen Augen wich und einem warmen Gold Platz machte, glitt ein Lächeln über seine Lippen, ein Lächeln ohne Spott und ohne jede Abscheu. Stattdessen lag etwas anderes darin, etwas, das in Pherodos’ Gesicht so unwirklich erschien, dass Nando keine Worte dafür hatte.
Er spürte seinen eigenen Pulsschlag in Bhalvris’ Knauf, so fest umklammerte er das Schwert. Er hatte gesiegt, dumpf umfing ihn diese Erkenntnis, und doch konnte er den Blick nicht von dem Krieger abwenden, der in den Glanz des einzig wahren Lichts der Welt gefallen war und der ihn auf diese Weise ansah, so fern und so … frei.
Noch einmal ging Pherodos’ Herzschlag durch den Raum, Nando spürte ihn in sich widerklingen wie ein Wort des Abschieds.
Dann war es still.
43
Pherodos fühlte den Blick des
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