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Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)

Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)

Titel: Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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Vielleicht war es diese Tatsache, die Nhor’ Kharadhin in sein Innerstes trieb wie einen Stachel, der zugleich erregend und schmerzhaft war und ihn in einen Zustand tiefer Faszination versetzte.
    Erst als sie die hohe Treppe zum Palast der Königin hinaufgingen, wich die Ergriffenheit einem Gefühl der Anspannung. In blau glühendem Frost lag das Gebäude da, die gewundenen Türme schienen in den Himmel zu reichen, und Brücken spannten sich zwischen den einzelnen Ebenen, die aussahen wie fliegende Tücher. Aus den Fenstern ergossen sich Kaskaden aus Gold und Farben, das Eingangsportal war groß genug, um ganze Häuserzeilen zu umfassen, und davor, die Köpfe hoch erhoben, die Hände um die Hefte ihrer Schwerter geschlossen, standen sieben Seraphe und schauten ihnen entgegen. Die Augen dieser Engel waren so kalt, dass Nando meinte, Eisblumen auf ihren glänzenden Rüstungen zu erkennen, und die sechs Schwingen ragten so strahlend hinter ihnen auf, dass eine Berührung genügen musste, um in diesem Glanz zu verbrennen. Bislang hatte ihnen kein Engel größere Beachtung geschenkt. Selbst die Rückkehr des Obersten Offiziers der Garde hatte ihnen kaum mehr als einen Hauch von Erstaunen abverlangt, und Avartos hatte sich durch die Straßen bewegt, als wäre jede Art von Nervosität ihm vollkommen fremd. Nun jedoch schienen seine Schritte langsamer zu werden, und seine Stimme klang dunkel, als sie durch Nandos Gedanken strich.
    Bleibt einen halben Schritt hinter mir , wies der Engel sie an. Sprecht nur, wenn ihr gefragt werdet, und vermeidet vorher jeden Blickkontakt. Allzu leicht könnte er als Provokation aufgefasst werden.
    Nando schaute Avartos von der Seite an. Er hatte geglaubt, die Unruhe, die sich heimtückisch in seinen Nacken schlich, mit einem Blick in die eiskalten Augen seines Lehrers ersticken zu können. Doch statt des vertrauten Frosts lag ein Schatten über der Maske des Engels. War es Sorge? Nando wusste es nicht, doch eine beklemmende Schwere machte sich in ihm breit. Noch wenige Stufen, dann hatten sie das Portal erreicht.
    Denkt daran, was wir besprochen haben, sagte Avartos eindringlich, und haltet euch an den Plan. Dann wird alles gut gehen.
    Seit Stunden hatte Nando kaum etwas anderes getan, als diesen Plan in Gedanken zu wiederholen, aber nun, da er zu den Seraphen aufsah, die selbst Avartos um mehrere Köpfe überragten, fragte er sich zum ersten Mal, ob sie eigentlich den Verstand verloren hatten oder woran es sonst liegen mochte, dass sie mitten in den Palast der Engelskönigin marschierten, vorbei an Monstern wie diesen. Flüchtig schaute er in ihre Gesichter und stellte fest, dass sie von feinen Rissen überzogen waren, als hätte die Kälte des Palasts sich als steinerne Schicht über ihre Körper gelegt. Nur das weiße Licht des Oreymons linderte den äußeren Frost weit genug, um Nandos Atem nicht stocken zu lassen. Sein Gesicht fühlte sich an, als hätte es sich in Eis verwandelt, und er ertrug das kalte Licht, das aus den Augen der Seraphen über ihn hinstrich. Kurz keimte in ihm der Gedanke, dass sie ihn erkennen und mit einem einzigen Hieb erschlagen würden, doch sie ließen ihn passieren, und er folgte Avartos in den Palast.
    Es war, als wären sie ins Innere eines Kristalls geraten. Lanzen aus Licht brachen sich in den teilweise verspiegelten Wänden des Ganges, der an einem blutroten Tor endete. Ein Engel kam auf sie zu, seine Gestalt schien sich im Spiel der Spiegel zu vervielfältigen. Er trug eine Uniform aus grauer Seide, die ihn als Pagen der Königin auswies, und neigte kurz vor Avartos den Kopf. Sie sprachen in Gedanken miteinander, und kaum dass Avartos zustimmend nickte, wandte der Page sich um und führte sie zu dem Tor, das er für sie öffnete. Er schloss es hinter ihnen, ohne ihnen zu folgen.
    Das Erste, das Nando wahrnahm, war die gläserne Kälte, durchzogen von farbigen Funken aus Licht. Mit zärtlicher und doch grausamer Kraft drang sie in seine Lunge – jedes Gefühl, jede hitzige Regung kam umgehend zur Ruhe. Ein Ort der Stille war es, an den er gekommen war, ein Ort wie eine Kirche oder ein Grab, doch über ihm spannte sich das nächtliche Firmament und ließ Schwärme aus Sternfunken auf den Boden regnen. Erst auf den zweiten Blick erkannte er, dass es gläserne Säulen waren, die wie die Decke mehrfach in sich gebrochen waren und jeden Lichtfunken auffingen und in den schönsten Farben zurückwarfen. Und zwischen ihnen, die mächtigen Äste weit

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