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Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)

Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)

Titel: Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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Engelsburg, die sich mit ihren strahlenden Kuppeln, Balustraden und Zinnen in die Nacht erhob und Nhor’ Kharadhin mit flammenden Strahlen über sich trug. Kaum hörbar trat jemand neben ihn, und für einen Moment gab Nando sich der Illusion hin, dass es Antonio wäre wie damals, als sie hier nebeneinandergestanden und zu den lichtdurchfluteten Gebäuden hinaufgesehen hatten. Er war kalt, dieser Glanz, so kalt und wunderschön zugleich, und ihn überkam erneut das Bedürfnis, sich mitten hineinzustürzen, ungeachtet der Furcht, die ihn bei diesem Gedanken befiel.
    Dort, Sohn Bantoryns, liegt das Herz des Lichts, das Zentrum der Engelsmacht in dieser Welt. Es gibt keine Stadt, ob im Licht oder in den Schatten, die es an Schönheit mit Nhor’ Kharadhin aufnehmen könnte, und niemals wird dein Auge je wieder Befriedigung finden, wenn du einmal durch diese Straßen gegangen bist. Und doch – dieser Ort bedeutet den Tod für alle Nephilim und königsfernen Engel. Er bedeutet das Ende unserer Welt.
    »Erschaffen aus den Tränen der ersten Drachen«, sagte Avartos leise. »Gestählt in Flammen und Eis und beseelt vom Willen der Ewigkeit, thront Nhor’ Kharadhin über berstenden Träumen. Sie ist die Stadt des Lichts in glühendem Gold – fern jeder Finsternis.«
    Eine Mischung aus Ehrfurcht und Traurigkeit lag in seiner Stimme und ließ Nando den Blick wenden. Auch für Avartos musste es ein seltsames Gefühl sein, die Stadt seines Volkes wiederzusehen, nach allem, was passiert war. Und als der Engel nun hinab zu den Straßen der Menschen schaute, trat ein anderer Ausdruck auf sein Gesicht, etwas wie Ergriffenheit, als sähe er Rom zum ersten Mal.
    »Seht, Kinder der Schatten«, flüsterte Avartos kaum hörbar. »Seht Rom mit den Augen eines Engels.«
    Nando folgte seinem Blick, und ehe er wusste, was er tun sollte, entfachte sich der Raum aus Licht in seinem Inneren. Avartos legte ihm die Hand auf die Schulter, und da sah er es auch: das feinmaschige, zarte Netz aus flackernder Glut, das ganz Rom durchzog. Wie ein Schleier lag es über den Dächern, verschwand in der Nacht, wurde wieder sichtbar, durchdrang die Häuser und Straßen und pulste in jedem Baum, jedem Stein, jedem See. Nando streckte die Hände aus nach dem seltsamen Zauber, der über allem lag. Er berührte die Streben und glitt im Geist in das Netz hinein, das ihn mit gleißendem Licht umfing und ihn vorwärtszog, mitten hinein in die Stadt. Er spürte seinen Körper, von Wind umtost auf dem Hügel über den Dächern, aber er fühlte auch die rauen Pflastersteine der Gassen unter seinen Händen, die Kälte der dunklen Nischen und die Wärme in den Wohnungen der Menschen. Auf einem belebten Platz hielt er inne. Er ließ das Lachen der Oberwelt in sich widerklingen, es traf ihn wie warmer Regen, und als er die Hand ausstreckte und ein schlafendes Kind berührte, das im Arm seiner Mutter lag, da konnte er dessen Träume sehen, mehr noch: Er konnte sie fühlen. Wie ein Stromstoß durchfuhr ihn die Hitze eines blauen Himmels, überdeutlich nahm er das Rascheln von Gras wahr, und er lauschte auf die Stimmen der Menschen, denen er nie ferner und gleichzeitig nie näher gewesen war als in diesem Moment. Er hörte sich in ihr Lachen einfallen, seine Stimme zerbrach und wurde zum Rauschen der Bäume, und er berührte mit unsichtbaren Händen jeden Knoten des riesigen Netzes. Er sah sich von außen, schwebend über den Dächern. Es schien ihm, als bildete sich sein Körper in den glühenden Streben nach, als würde er ein Teil des Lichts werden, das die ganze Stadt durchzog, und er fühlte das Pulsen in sich widerklingen, dieses untrügliche, mächtige Pochen des Lebens, das für einen wunderschönen Augenblick mit seinem Herzen im Gleichklang schlug. Jeder Zweifel, jede Furcht sank in ihn zurück. Ja, es war die Macht der Engel, die diese Stadt durchzog, doch ihr Herz bestand nicht aus Gold und Farben. Das Herz Roms waren die Menschen.
    Ein Lachen durchdrang Nandos Gedanken, er sah Antonio vor sich, von Mohnblüten umtost, und eine Leichtigkeit entfachte sich in ihm, die ihn auf den Abhang zurücktrug und ihn die Augen öffnen ließ. Er lächelte, als das Netz in der Nacht versank, und er brauchte Avartos und Noemi nicht anzusehen, um zu wissen, dass sie in diesem Moment dasselbe empfanden wie er.
    So zerbrechlich , sagte Avartos in Gedanken, und Nando wusste, dass er von der Welt der Menschen sprach, die so nah und gleichzeitig so fern vor ihnen in der Dämmerung

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