Die Chroniken des Paladins 01. Tharador - Bellem, S: Chroniken des Paladins 1 Tharador
lernen, trotzdem wusste Tharador rein gar nichts über diese Frau. Es war ihm schlagartig klar geworden, als sie die Anspielung auf ihr früheres Leben gemacht hatte.
Was für ein Leben mochte das gewesen sein, fragte er sich.
Bei all ihren Gesprächen hatte sie es immer geschickt verstanden, das Thema auf ihn zu lenken. Er hatte ihr mittlerweile so gut wie alles erzählt und wusste von ihr doch kaum mehr als ihren Namen.
Tharador fragte sich, ob der Grund dafür reine Neugierde war, oder ob Calissa am Ende doch mit Dergeron unter einer Decke steckte und nur versuchte, eine Schwachstelle bei ihm zu entdecken, die der wahnsinnige Krieger bei ihrem nächsten Aufeinandertreffen nutzen könnte.
Während er über all das nachdachte, rückte er unweigerlich ein wenig von ihr weg, was der aufmerksamen Frau nicht entging.
»Was ist los?«, fragte sie überrascht.
»Wer bist du wirklich?«, fragte Tharador ernst, und sein Blick ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass er diesmal mehr hören wollte als nur ihren Namen.
Sie blickte ihn an wie ein verwundetes Tier, das man in die Enge getrieben hatte. Ihre Augen zuckten hin und her, als würde sie nach einem Ausweg suchen. Tharador hatte die junge Frau noch niemals so nervös gesehen.
Er bewegte seine Hand unmerklich in Richtung seines Schwertgriffs, da er damit rechnete, dass er ihre Fassade durchschaut hatte und sie ihn nun aus Verzweiflung angreifen würde.
Schließlich stieß sie einen resignierenden Seufzer aus und blickte den Paladin ernst an.
»Also gut, du hast ein Recht darauf, es zu erfahren, immerhin hast du mir auch alles über dich erzählt«, begann sie. Sie berichtete ihm, wie sie als Findelkind im Tempel der Magra aufgewachsen war und wie sie sich danach als Dirne durchs Leben geschlagen hatte. Auch ihre Beziehung mit Raltas offenbarte sie ihm. Sie erklärte dem Paladin, wie sie das Diebeshandwerk erlernt und es schließlich dazu genutzt hatte, sich am Grafen zu rächen und ihm die Halskette seiner Frau zu stehlen. Diese Kette trug sie noch immer, und als sie an sich hinab auf das Geschmeide blickte, brach sie plötzlich in Tränen aus.
Tharador nahm sie tröstend in den Arm und streichelte ihr sanft das seidige Haar. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich wieder beruhigt hatte. Irgendwann schlief sie schließlich in seinen Armen ein. Tharador hielt sie weiter fest und blieb die ganze Nacht über wach – zu viele Gedanken schossen ihm wieder und wieder durch den Kopf.
Jetzt, wo er so viel über sie wusste, hatte er ein noch schlechteres Gewissen, dass sie ihn begleitete. Sie begab sich mit ihnen in große Gefahr. Tharador glaubte nun, ihre Beweggründe durchschaut zu haben.
Sie tat es aus Verzweiflung. Calissa versuchte vermutlich, auf diese Weise ihrem Leben einen neuen Sinn zu geben und möglicherweise sogar Buße zu tun für ihre früheren Fehltritte.
Es war seltsam, wie sie alle hierher gekommen waren. Jeder hatte irgendwo ganz tief in sich seinen eigenen Grund, gegen Xandor zu kämpfen. Doch alle würden am Ende davon auf die gleiche Weise profitieren. Sie hätten sich von einer Last befreit und die Welt ein kleines Stück verbessert. Xandor musste vernichtet werden. Nicht, weil er das Buch Karand wollte, sondern einfach, weil er die Verkörperung des Bösen war.
Er durfte nicht die Oberhand gewinnen.
Am nächsten Morgen ließ Faeron das Gras wieder auf seine natürliche Länge schrumpfen, und die Freunde hatten ihr behelfsmäßiges Nachtlager ebenso schnell wieder verlassen, wie sie es eingerichtet hatten.
Tharador führte sie von der Küste weg ins Landesinnere, über eine kleine Hügelkette auf Surdan zu.
Er sprach Calissa nicht mehr auf die Geschichte an, die sie ihm letzte Nacht erzählt hatte, denn er wollte sie nicht drängen, sich ihren Gefühlen zu stellen. Der Paladin wusste, dass es schwer war, seine eigene Seele zu erblicken, ohne dabei Opfer des eigenen Selbstmitleids zu werden. Ihm selbst gelang es auch nicht immer. Tharador war sich nicht einmal sicher, ob selbst Faeron, der unbestreitbar weise Elf, davor gefeit war.
Nach nur drei Tagen erschien Surdan plötzlich vor ihnen, nachdem sie um einen großen Hügel gekommen waren, der ihnen zuvor noch den Blick versperrt hatte. Sie alle blieben stehen und betrachteten das Ziel ihrer Reise, das nun nur mehr einen halben Tagesmarsch entfernt lag.
»Du willst die Stadt durch die Abwasserkanäle betreten, nicht wahr?«, stellte Faeron plötzlich fest.
Khalldeg zuckte bei dem
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