Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Chroniken von Amarid 03 - Das dunkle Herz von Lon Ser

Die Chroniken von Amarid 03 - Das dunkle Herz von Lon Ser

Titel: Die Chroniken von Amarid 03 - Das dunkle Herz von Lon Ser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David B. Coe
Vom Netzwerk:
der Ferne schimmerten die hohen Gebäude von Oerella-Nal in der Sonne.
    Zunächst nahmen die Menschen keine Notiz von ihm. Niemand sah ihn direkt an, und die Gespräche umsurrten ihn wie Fliegen an einem Sommernachmittag, aber niemand sagte ein Wort zu ihm. Dann blieben jedoch plötzlich alle stehen, und alle Augen waren auf ihn gerichtet. Und der Traum-Gwilym hob, als hätte er auf diesen Augenblick gewartet, seinen Stab hoch und stieß ihn dann auf die Straße. Irgendwie drang das Holz durch die Fliesen, und sofort veränderte sich die Farbe des Steins von Gwilyms Goldbraun zu Scharlachrot. Ansonsten schien der Stab unbeschädigt, er ragte nur ein wenig schräg aus dem Straßenpflaster und vibrierte von der Wucht, mit der Gwilym ihn zu Boden gestoßen hatte. Unbegreiflicherweise drehte sich der Traum- Gwilym dann um und ging davon, ließ den Stab einfach, wo er war, ließ den Stein zurück, den sein Vater und sein Großvater und all die Steinträger, die vor ihm gekommen waren, so lange behütet hatten.
    Er erwachte zitternd, sowohl von dem kalten Wind, der durch seine schweißnasse Kleidung drang, als auch von dem Traum. Er zog seinen Umhang fest um sich, aber das half nicht viel. Also setzte er sich hin, holte ein trockenes Hemd aus dem Rucksack und zog es statt des schweißfeuchten an. Er dachte kurz daran, ein Feuer zu machen, aber er hatte nicht die Energie dazu. Stattdessen lehnte er sich einfach wieder zurück und rollte sich fest zusammen. Verwirrt starrte er den schimmernden Stein an, der neben ihm auf dem Boden lag.
    Er hatte seit der Vision von dem Zauberer, bevor er die Siedlung verlassen hatte, keine anderen Visionen mehr gehabt. Und so seltsam und beunruhigend dieser Traum auch gewesen war, er konnte sich zumindest mit dem Wissen trösten, dass es sich um keinen Wahrtraum gehandelt haben konnte. Dieser Traum war nicht von einem Bild seiner Eltern eingeleitet worden, wie das sonst bei jeder Vision der Fall gewesen war. Sie hatten ihm den Stab nicht überreicht. Dieser Traum war Fantasie, sonst nichts. Das sagte er sich zumindest.
    Denn obwohl sein Vater und seine Mutter nicht aufgetaucht waren, hatte sich dieser Traum doch sehr nach einer echten Vision angefühlt. Die Bilder waren so lebendig gewesen wie in seinen Visionen. Er war körperlich und geistig erschöpft, genau wie nach einem Blick in die Zukunft. Und irgendwie spürte Gwilym, dass sich das, was er da geträumt hatte, als wahr erweisen würde.
    Und das war selbstverständlich unmöglich. Er hatte gesehen, wie sein Stab in die Straße gedrungen war, als wären die Pflastersteine lockerer Boden. Er hatte gesehen, wie sein Stein die Farbe veränderte, als er die Straße berührte, als wäre das Nal selbst ein Gildriite. Und er hatte sich selbst gesehen, wie er dem Stab den Rücken kehrte und das wichtigste Zeichen seines Erbes einfach stehen ließ, als wäre es Abfall. Er konnte sich diese Dinge nicht erklären, und ganz bestimmt konnte er sich nicht vorstellen, wie so etwas geschehen sollte.
    Er schüttelte den Kopf, frustriert von der Unklarheit seines Traums und seiner Unfähigkeit, sich über die Bedeutung klar zu werden. Ich bin der Träger des Steins, sagte er sich zornig. Ich sollte mich eigentlich mit meinen eigenen Visionen auskennen.
    Wie zur Antwort hörte er eine andere Stimme in seinem Kopf - die Stimme seines Vaters. Mag sein, sagte sie, aber du bist weit von zu Hause entfernt, weit weg von deiner Frau und deinem Bett und den Menschen, die dich daran erinnern, wer und was du bist. Dein Blick kommt ebenso sehr von ihnen wie aus dir selbst.
    Und als er da so auf dem kalten Boden lag und spürte, wie der Wind sich über ihn hinwegbewegte wie Wasser über einen Stein, lächelte Gwilym wehmütig. Zumindest war er immer noch in der Lage, die Wahrheit zu erkennen, wenn er sie hörte. Er rollte sich auf den Rücken und starrte hinauf in den Dunst und zu den trüben Sternen und zwang seine Gedanken durch eine weitere Welle von Heimweh hindurch. Wo wohl der blonde Zauberer im Augenblick war? Befand er sich schon in Bragor-Nal? War er allein wie Gwilym? Hatte er Frau und Kinder in Tobyn-Ser zurückgelassen, oder hatte man ihn für diesen Auftrag ausgewählt, weil er keine Familie hatte?
    »Begreifst du, was ich für dich geopfert habe?«, fragte Gwilym laut, als könnte der Fremde ihn hören.
    Ein Vogel rief aus einem Baum in der Nähe und weiter entfernt eine Eule.
    Du tust das nicht für ihn, berichtigte die Stimme in seinem Kopf. Und du

Weitere Kostenlose Bücher