Die Chroniken von Amarid 03 - Das dunkle Herz von Lon Ser
mechanischen Fortschritt des Landes gelernt. Ich verstehe inzwischen sogar ein wenig von der Sprache der Menschen dort, obwohl ich zugeben muss, dass ich sie längst nicht so gut beherrsche wie Baram die unsere. Ich war zwar gezwungen, einen großen Teil dieser Informationen mit Hilfe ausführlicher Sondierung von Barams Geist zu erlangen, aber ich konnte ihn auch schon früh überzeugen, einiges von dem, was er weiß, freiwillig mitzuteilen. Diese Gespräche kamen mir erheblich produktiver und zufriedenstellender für beide Beteiligten vor. Im Lauf der Zeit hat er mir allerdings immer mehr Widerstand entgegengesetzt, und die Zahl dieser freiwilligen Gespräche nahm ab. Ich glaube immer noch, dass wir viel von ihm erfahren können, und ich bin noch nicht bereit, den Forderungen nach seiner Hinrichtung zuzustimmen.
Aus Kapitel Drei des »Berichts von Eulenmeister Baden über seine Verhöre des Ausländers Baram«, vorgelegt auf der 1014. Versammlung des Ordens der Magier und Meister, im Frühjahr des Gottesjahres 4625.
Es hatte Zeiten gegeben - und sie lagen weniger weit zurück, als er gegenüber jedem in diesem Saal zugegeben hätte -, da hatte Baden darüber nachgedacht, wie es wohl sein würde, Eulenweiser zu werden. Er hatte konkrete Vorstellungen darüber, wie die Zukunft des Ordens aussehen sollte; er hatte viel und häufig darüber nachgedacht, wie und wo die Magie in den Zusammenhang der Kultur von Tobyn-Ser passte. Er hatte zugesehen, wie zwei seiner besten Freundinnen, Jessamyn und Sonel, mit den Herausforderungen und Anstrengungen der Führerschaft rangen, und obwohl er die Schwierigkeiten, denen sie gegenüberstanden, nie unterschätzt hatte, war er in Gedanken doch auch nie vor einer solchen Bürde zurückgeschreckt. Und was vielleicht am wichtigsten war, er wusste, dass die Eulenmeister Sonel vor vier Jahren nur mit einem gewissen Zögern gewählt hatten, denn er, Baden, war ihre erste Wahl gewesen. Er war einer der wenigen Meister gewesen, die das Vertrauen sowohl der älteren als auch der jüngeren Magier genossen; viele waren der Ansicht gewesen, das er allein im Stande wäre, die Spaltung innerhalb des Ordens zu überbrücken. Nur der Tod seines Vogels auf Phelans Dorn hatte die Meister davon abgehalten, ihm die Position offen anzutragen. Sonel schien das ebenfalls zu wissen. Sie hatte Andeutungen darüber gemacht - zurückhaltende selbstverständlich -, als sie sich ein Jahr nach ihrer Wahl darüber unterhalten hatten, und Baden betrachtete es als Beweis dafür, wie nahe sie sich standen, dass solche Umstände ihre Beziehung nicht beeinträchtigt hatten. Damals hatte er sich nicht gestattet, seiner Enttäuschung nachzuhängen. Tatsächlich war er viel zu sehr in seine Trauer um Anla versunken gewesen, um viel über diese verpasste Gelegenheit nachzudenken. Denn die Eule war nicht einfach gestorben; er hatte sie selbst getötet. Zweifellos hatte er ihr damit nur Gutes getan, denn im nächsten Augenblick wäre sie von dem großen mechanischen Geschöpf zerrissen worden, das sie schon in seinen rasiermesserscharfen Krallen hielt. Und nach dem Kampf auf Phelans Dorn, als die Umstände ihres Todes allgemein bekannt wurden und die unvermeidlichen Fragen bezüglich Amarids Gesetz auftauchten, das Magiern verbot, ihren Vertrauten Schaden zuzufügen, war der Orden einstimmig zu dem Schluss gekommen, dass Badens Tat vollkommen gerechtfertigt gewesen war. Dennoch, der Schmerz, Anla zu verlieren, und auch noch auf diese Art, war heftig gewesen. Die Tatsache, dass er nicht Eulenweiser werden konnte, hatte im Vergleich dazu kaum Bedeutung gehabt. In den darauf folgenden Monaten hatte er sich eingeredet, dass er ohnehin mehr für den Orden und die Menschen des Landes tun konnte, wenn er ein einfacher Magier blieb und nicht von den politischen und administrativen Pflichten eines Weisen gehemmt wurde. Und er hatte seine Energie auf die Errichtung des geheimen geistigen Netzes konzentriert - etwas, das ihm als Oberhaupt des Ordens niemals möglich gewesen wäre. Aber er hatte sich auch mit einem anderen Gedanken getröstet, einem, den er niemandem mitteilte. Es war klar, dass er Sonel nichts Böses wünschte, aber er war ein praktisch denkender Mann - eines Tages würde ihr Vogel sterben, und dann würde der Orden ein neues Oberhaupt brauchen. Vielleicht würde er ja dann bereit sein. Das hatte er sich damals jedenfalls gesagt. Nur vier Jahre waren inzwischen vergangen, aber nun, am ersten Nachmittag der
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