Die Chroniken von Amarid 03 - Das dunkle Herz von Lon Ser
Sonnenschein, wirkte es mit seinen gewichtigen Steinmauern finster und streng, und der Anblick der beunruhigend kleinen vergitterten Fenster bewirkte, dass Orris unwillkürlich schauderte.
Und dennoch, es war nicht Mitgefühl, das ihm schließlich die Sicherheit gegeben hatte, die er suchte, und auch nicht übertriebenes Selbstvertrauen, denn das Gebäude war so beindruckend wie abschreckend. Es gab ein einzelnes Stahltor an einer Seite, groß genug, um mit einem Pferdewagen hindurchzufahren, mit einem massiven Eisenschloss, das nur von innen mit einem Schlüssel geöffnet werden konnte, und zwei schweren Riegeln, die von den Dienst habenden Wachen vor dem Tor zu bedienen waren. Sechs Bogenschützen standen auf den Zinnen oben auf dem Gebäude, und das kleinere Wachhaus, das sich in der Nähe des Tores befand, konnte gut mehrere Dutzend Männer beherbergen. Von einem solchen Ort zu fliehen, ob es nun von innen geplant oder von Verbündeten von außen bewerkstelligt werden sollte, war unmöglich.
Was ihm am Ende die nötige Überzeugung gab, war einfach, dass es existierte. In diesem Gefängnis saß Baram.
Und wegen ihm und anderen, die mit ihm nach Tobyn-Ser gekommen waren, waren »Taima«, »Wasserbogen« und »Kaera« - einst nur Namen von Orten - nun Synonyme für »Verwüstung«, »Metzelei« und »Blutbad«. Trotz der Gefahren, trotz der möglichen Konsequenzen, begriff Orris, als er das Gefängnis vor sich und vor seinem geistigen Auge das Gesicht des Fremden sah, dass er die richtige Entscheidung gefällt hatte, die einzig richtige Entscheidung. So oder so er würde noch heute Nacht nach Lon-Ser aufbrechen. Und Baram würde mit ihm kommen. Schon auf dem langen Rückweg zur Großen Halle hatte er begonnen, darüber nachzudenken, wie er Baram befreien könnte und, was noch wichtiger war, wie er den Fremden davon überzeugen sollte, mit ihm zu kommen, in gutem Einvernehmen und als sein Führer. Er hatte jedoch nicht angenommen, dass der schwierigste Aspekt seines Plans darin bestehen würde, sich unbemerkt von dem Festessen davonzustehlen, das am Haus des Ersten Magiers stattfand.
Jaryd und Alayna kamen gleich nach dem Ende der Prozession zu ihm und nahmen ihn mit zu einem Teil des großen hufeisenförmigen Tisches, an dem alle Magier saßen. Dort saß er nicht nur bei Jaryd und Alayna, sondern auch mit Trahn, Ursel, Baden, Mered und Radomil zusammen - den Magiern, mit denen er das geistige Netz errichtet hatte, das die Westgrenze von Tobyn-Ser nun seit vier Jahren schützte, den Menschen, die ihn besser kannten als alle anderen auf der Welt. Seine Absichten hier geheim zu halten würde schwer genug werden; sich früh zu verabschieden, ohne jemanden misstrauisch zu machen, wäre praktisch unmöglich.
Also blieb er sitzen, aß wenig, sagte noch weniger und mied sorgfältig den roten Wein, der auf allen Seiten so uneingeschränkt floss. Irgendwann erhob sich Sonel zu einer Ansprache und erklärte, dass der Orden trotz des Mangels an neuen Magiern stark und lebendig bliebe, mit einer guten Mischung aus erfahrenen älteren Mitgliedern und energiegeladenen jüngeren. Sie drängte die Magier auch, die Meinungsverschiedenheiten nicht so weit zu treiben, dass sie die Tradition des Ordens von Zusammenarbeit und Kameradschaft störten. Diese Bemerkungen kamen Orris zwar wohlmeinend und zweifellos dem Anlass angemessen vor, aber sie wurden von den Versammelten recht kühl entgegengenommen. Vielleicht würde es irgendwann einen Punkt geben, an dem die Heilung einsetzen konnte, aber diese Zeit war noch nicht gekommen, und Orris hielt es durchaus für wahrscheinlich, dass er sie niemals erleben würde. Er hatte eine weite Reise vor sich, und er wusste nicht, wie lange er fort sein würde. Seine Freunde hatten Besseres verdient, als er ihnen geben konnte, und dennoch musste er feststellen, dass er ihnen nichts zu bieten hatte. »Die letzten Tage haben mich wirklich müde gemacht«, sagte er also abrupt, nachdem Sonel ihre Ansprache beendet hatte und eine Gruppe von Musikern begann, ihre Instrumente zu stimmen. »Ich denke, ich gehe schlafen.« Jaryd und Baden wechselten einen Blick.
»Na schön«, sagte Alayna mit einem freundlichen Lächeln. »Wir sehen uns doch morgen früh noch, bevor wir alle aufbrechen?«
»Selbstverständlich«, murmelte er, stand auf und streckte den Arm für seinen dunklen Falken aus. »Gute Nacht.«
Er ging langsam an den Bäumen und Fackeln und an all den Tischen vorbei, an denen die
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