Die Chroniken von Amarid 03 - Das dunkle Herz von Lon Ser
»Breatta wartet schon auf uns.« Er zeigte auf Gwilym. »Kham, das hier ist Gwilym. Er ist der Steinträger aus der nächstgelegenen Siedlung.«
Der Fremde stand auf und packte Gwilyms Hand mit festem Griff, aber er musste dafür mit der linken Hand quer über den Körper greifen. Seine rechte Hand war von Narben überzogen und verkrüppelt. Es sah nicht so aus, als könnte er sie noch zu etwas gebrauchen.
»Kham kam im Sommer zu uns«, erklärte Oswin, während der Mann sich wieder hinsetzte. »Davor hat er den größten Teil seines Lebens in Bragor-Nal verbracht. Er war dort das, was sie einen Gesetzesbrecher nennen, aber er hat zweifellos bewiesen, dass er den Blick hat. Und nach allem, was er sagt, gibt es dort viele wie ihn.« Oswin wandte sich Kham zu. »Gwilym ist auf dem Weg nach Bragor-Nal, und wir hofften, dass du ihm etwas über das Netzwerk erzählen könntest.«
Wieder schaute Kham Gwilym an, diesmal forschender, als wollte er in dessen Inneres schauen. »Warst du jemals vorher im Nal?«, wollte er wissen.
Gwilym schüttelte den Kopf.
»Ich hoffe, du hast gute Gründe für diese Reise.« »Die hat er«, warf Oswin ein, bevor Gwilym etwas sagen konnte. »Ich würde es sehr zu schätzen wissen, wenn du ihm helfen könntest, Kham.«
Der große Mann zögerte und schien nachzudenken. Dann nickte er schließlich. »Es gibt das Netzwerk in allen Nals«, setzte er zu Gwilym gewandt an. »Aber in Bragor-Nal ist es am aktivsten, weil sie uns Orakel dort am meisten hassen. Es bietet uns vor allem einen Ort, wo wir willkommen sind und wo wir nicht verbergen müssen, was wir sind. Aber es bietet auch jenen Schutz, die entdeckt wurden, und hilft Leuten, die dem Nal vollständig entkommen wollen, so wie ich.« »Wie viele Gildriiten gibt es in Bragor-Nal?«, fragte Gwilym.
Kham zucke die Achseln. »Viele. Zehntausende, würde ich sagen.« Gwilym riss die Augen auf, und der Mann grinste. »Es klingt beeindruckender, als es wirklich ist«, sagte er. »Hier wären es viele, aber im Nal bedeutet das nichts.« Gwilym nickte und schluckte. Ihm fiel immer wieder auf, dass er überhaupt nicht auf so etwas wie das Nal vorbereitet war.
»Wie wird Gwilym das Netzwerk finden?«, fragte Oswin. Kham sah wieder Gwilym an. »Du willst diese Kleider anbehalten?«
»Ja.«
»Dann werden sie dich finden. Jedenfalls, wenn die Si-Herr dich nicht vorher finden.«
»Si-Herr?«
»Die Sicherheitskräfte des Herrschers.« Kham starrte mit gequältem Blick ins Feuer. Und Gwilym bemerkte, dass er unwillkürlich angefangen hatte, seine verstümmelte Hand zu massieren. »Sie sind nicht sonderlich gut, wenn es darum geht, den Frieden zu wahren«, sagte er verbittert, »aber foltern können sie hervorragend. Und es scheint ihnen besonderen Spaß zu machen, Gildriiten zu jagen.«
»Wir möchten gerne vermeiden, dass Gwilym etwas zustößt«, sagte Oswin leise. »Kannst du uns helfen?«
Wieder zögerte Kham. Dann erhob er sich abrupt und ging in sein Zelt. Als er wieder herauskam, hatte er Landkarten dabei, gedruckt auf das beste Papier, das Gwilym je gesehen hatte. Er kniete nieder und breitete sie auf dem Boden vor den beiden älteren Männern aus.
»Als Erstes«, sagte Kham zu Gwilym, »solltest du dich mit dem Netz in Oerella-Nal in Verbindung setzen. Die Dinge sind dort etwas ruhiger und sicherer, aber du wirst trotzdem besser durchkommen, wenn du unter ihrem Schutz stehst.« Er zeigte auf eine Stelle, die er auf der Landkarte des Oerella-Nal gekennzeichnet hatte, dort, wo der Schluchtenfluss ins Nal floss. »Dort wirst du sie am ehesten finden. Sie bringen dich zum Mediangebirge und werden dir sagen, welche Pässe du nehmen sollst und wohin du dich wenden kannst, sobald du Bragor-Nal erreicht hast. Verstehst du?«
Gwilym nickte. »Ja«, sagte er, als er bemerkte, dass Kham nicht aufgeblickt hatte, sondern immer noch die Karten ansah.
»Du kannst die hier mitnehmen, wenn du willst«, fügte Kham hinzu. »Ich habe noch andere, und ich glaube nicht, dass ich sie je wieder brauchen werde.«
Er warf einen Blick über die Schulter und lächelte Oswin kurz an, bevor er sich wieder Gwilym zuwandte. »Ich will dir nichts vormachen: Du begibst dich an einen gefährlichen Ort. Ich war froh, lebendig rauszukommen. Bist du sicher, dass du das tun willst?«
Gwilym lächelte grimmig. »Wenn ich ehrlich bin, möchte ich viel lieber hier bleiben. Aber ich hatte eine Vision, die mir sagte, dass ich es tun muss. Und als einer, der ebenfalls mit
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