Die Chroniken von Amarid 04 - Die Retterin des Landes
»Ein Mann namens Cedrych.«
Shivohn sah sie mit offener Neugier an. »Das weißt du sicher?«, fragte sie.
»Ja.«
»Wie ging das vor sich?«, wollte die Herrscherin wissen.
Melyor holte tief Luft. »Die erste Gruppe hat versagt, ich sollte die zweite anführen.«
Shivohns Augen wurden größer. Dann nickte sie. »Daher beherrscht du die Sprache so gut.«
Melyor schwieg.
»Warum tust du das?«, fragte die Herrscherin. »Warum hilfst du dem Zauberer?« Sie zeigte auf Gwilym. »Ich denke, ich verstehe, wieso der Steinträger hier ist. Aber warum du? Warum sollte Melyor i Lakin so viel für etwas aufgeben, das so wenig verspricht?«
»Was immer du über mich zu wissen glaubst«, entgegnete Melyor ruhig, »ist offenbar nicht alles. Vielleicht hast du Akten über mich, und daher weißt du, wer ich bin. Und vielleicht entspricht jedes Wort in diesen Akten der Wahrheit. Aber das bedeutet noch nicht, dass du mich kennst.« Shivohn schien darüber nachzudenken. »Du könntest Recht haben«, sagte sie schließlich und sah Melyor in die Augen. »Aber nun frage ich dich abermals: Warum tust du das?« Es spielte keine Rolle mehr. Nach allem, was sie getan hatte, seit Orris in Bragor-Nal eingetroffen war, spielte es keine Rolle mehr, wer es erfuhr. »Ich bin Gildriitin«, sagte sie, und es freute sie, das echte Staunen im Blick der Herrscherin zu sehen, das allerdings nur einen Moment andauerte, bevor die Frau ihre Emotionen wieder unter Kontrolle hatte.
»Bist du jetzt endlich überzeugt, Herrscherin?«, fragte Orris ungeduldig.
»Was die Eindringlinge in euer Land angeht, meinst du?«, erwiderte Shivohn nun wieder in Tobynmir.
Orris nickte.
Shivohn kaute einen Augenblick auf der Unterlippe - etwas, das bei einer Frau, die offensichtlich die zweitmächtigste Person in Lon-Ser war, ein wenig fehl am Platz wirkte. »Nach allem, was Melyor und du mir gesagt haben«, erwiderte sie schließlich, »kann ich wohl nicht anders. Ich wünschte, ich hätte das gewusst, als der Brief der Eulenweisen eintraf.«
»Hätte das etwas an deiner Antwort geändert?«, fragte Orris. Shivohn stand auf und ging zu dem großen Fenster, das zum Garten hinausschaute. »Eine schwierige Frage«, gab sie zu. »Was ich glaube und was der Herrscherrat tut, sind zwei sehr verschiedene Dinge.« Sie drehte sich wieder zu ihnen um. »Hätte ich davon gewusst - hätten wir alle im Rat davon gewusst -, dann hätte das wahrscheinlich auch nicht viel geändert. Ich hätte vielleicht geraten, eurer Eulenweisen eine mitfühlendere Antwort zu schicken, aber Durell hätte mir widersprochen, und Marar hätte getan, was immer Durell wollte.«
»Ja«, sagte Orris und warf Melyor einen Seitenblick zu. »Ich habe schon gehört, wie es in diesem Rat zugeht.«
»Dann wirst du auch verstehen, wenn ich dir sage, dass ich nichts tun kann, um dir zu helfen.«
»Aber du weißt nun, dass ich die Wahrheit sage«, beharrte Orris. »Du kannst zumindest versuchen, die anderen Herrscher zu überzeugen.«
Die Herrscherin machte eine hilflose Geste. »Wozu?« »Es muss doch möglich sein, Cedrych aufzuhalten!«, sagte Orris nun lauter.
»Es kann durchaus sein, dass Cedrych auf Durells Befehl hin gehandelt hat!«, entgegnete Shivohn bissig.
»Nein«, warf Melyor ein, »das hat er nicht. Das weiß ich. Cedrych hat es ihm noch nicht gesagt.«
Shivohn zögerte, aber nur für einen Moment. »Das spielt keine Rolle«, sagte sie. »Selbst wenn Dureil es zuvor nicht gewusst hat, wird er nicht gestatten, dass der Rat in irgendeiner Weise etwas gegen Cedrych unternimmt. Er kann aus dieser Sache nur Gewinn ziehen; zu verlieren hat er nichts. Die Sache dem Herrscherrat zu unterbreiten wird nichts nützen«, schloss sie. »Tut mir Leid.«
»Du könntest es wenigstens versuchen«, drängte Orris. »Du hast doch auch nichts zu verlieren.«
»Im Gegenteil«, sagte die Herrscherin und kehrte zu ihrem Stuhl zurück. »Ich habe sehr viel zu verlieren. Wenn Melyor dir die Lage im Rat erklärt hat, dann weißt du auch, dass Oerella-Nal um alles kämpfen muss, was es braucht. Wenn ich all meine Macht an Dinge verschwende, bei denen ich ohnehin keine Aussicht auf Erfolg habe - besonders, wenn sie Durell auch noch in Verlegenheit bringen -, kann ich mich kaum mehr für das einsetzen, was meine Leute wirklich brauchen. Meine Verantwortung für Oerella-Nal steht an erster Stelle.«
Bei anderen Anführern hätte eine solche Äußerung aufgesetzt geklungen. Aber aus irgendeinem Grund neigte
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