Die Chroniken von Amarid 04 - Die Retterin des Landes
Melyor dazu, der Herrscherin zu glauben.
»Es tut mir Leid«, sagte Shivohn abermals. »Wirklich, ich wünsche deinem Volk nichts Böses. Tatsächlich haben mich Geschichten über eure Magie immer fasziniert. Aber ich habe keinen zwingenden Grund, euch zu helfen, und viele, es nicht zu tun. Ich weiß, das klingt brutal, aber es ist die Wahrheit.«
Orris nickte, als wollte er die Worte der Herrscherin abwägen. Aber Melyor sah seinem Blick an, dass er bereits an der nächsten Möglichkeit arbeitete.
»Du sagst also«, begann der Zauberer, »dass unser Konflikt nur mit Bragor-Nal besteht, nicht mit dem Rat?«
Shivohns Miene hellte sich auf. »Ja«, sagte sie. »Ja, genau! Ich bin froh, dass du das verstehst!«
»In gewissem Sinn«, fuhr er fort, »haben dein und mein Volk also einen gemeinsamen Feind.«
»Nun ...«
»Wenn Bragor-Nal tatsächlich Tobyn-Ser erobern sollte, würde es ihnen bei ihrem Wettbewerb mit deinem Nal einen gewaltigen Vorteil verschaffen, nicht wahr? Es würde ihnen viel bessere Möglichkeiten geben, als ihr sie habt.«
Melyor nickte, denn sie erkannte, wie klug Orris' Argumentation war, und sie musste wieder an ein Gespräch vor ein paar Tagen denken, in dem der Zauberer zugegeben hatte, dass er sich in der Kunst der Politik durchaus auskannte. Sie begriff nun, dass er zu bescheiden gewesen war. »Es wäre mehr als das«, fügte sie hinzu. »Es würde das Problem der Überbevölkerung lösen. Es würde uns gestatten, der Luft und dem Wasser zu entkommen, die wir derart verschmutzt haben. Tatsächlich würde es uns sogar erlauben, die gesamte Bevölkerung nach Tobyn-Ser zu schaffen und das Nal nur noch zur Herstellung von Waren zu nutzen. Früher oder später wird sich dann der Dreck in unserer Luft über die Berge ausbreiten und euch erreichen. Und ganz bestimmt wird die Wasserverschmutzung auch Stib-Nal betreffen.«
Shivohn schüttelte den Kopf und lächelte betrübt. »Du bist sehr schlau«, sagte sie zu Orris. »Ihr seid es beide«, verbesserte sie sich mit einem Blick zu Melyor.
»Daran ist nichts Schlaues«, erklärte Orris ernst. »Es ist einfach nur logisch. Indem du mir hilfst, bringst du deinen Rivalen um den Sieg und die Gewinne, die ein Sieg ihm einbringen würde. Und vielleicht kannst du ja an seiner Stelle profitieren.«
»Wie meinst du das?«, fragte die Herrscherin und kniff die Augen zusammen.
»Ich habe nur einen kleinen Teil deines Nal gesehen«, sagte er, »aber schon jetzt ist mir klar, dass es sich gewaltig von Bragor-Nal unterscheidet.«
»Darauf sind wir auch sehr stolz.«
»Ich denke, die Menschen in meinem Land sollten erfahren, dass nicht alle Nals in Lon-Ser von Gewalt geprägt sind. In der Vergangenheit haben wir geglaubt, dass solch fortgeschrittene Waren nur Elend und nichts weiter bringen. Aber im Lauf der Zeit kann man uns vielleicht eines Besseren belehren. Es könnte möglich sein, dass deine Hilfe in dieser Sache den Beginn von Beziehungen zwischen deinem Volk und dem meinen erleichtert, und vielleicht - ebenfalls im Lauf der Zeit - auch von Handel.«
»Hältst du das für möglich?«, fragte Shivohn mit deutlichem Interesse.
»Ja. Selbstverständlich würde es Geduld brauchen. Meine Leute mögen keine Fremden, und unsere letzte Begegnung mit Lon-Ser hat das nicht besser gemacht. Aber ich denke, im Lauf der Zeit könnte es möglich sein.«
Die Herrscherin betrachtete ihn einige Zeit. Ihre anfängliche Begeisterung war verflogen, und ihre Miene war nun so neutral, wie sie es gewesen war, als Melyor und die anderen das Zimmer betreten hatten. Nach einiger Zeit jedoch lächelte sie kopfschüttelnd. »Das ist ein interessanter Vorschlag«, sagte sie. »Und ich gestehe dir zu, dass eins dabei wirklich logisch klingt: Wenn Bragor-Nal gewinnt, wird das zu unserem Nachteil sein.«
Orris sah sie grimmig an. »Aber?«
»Aber ich kann immer noch nichts tun. Du gibst selbst zu, dass es Bragor-Nal ist, mit dem dein Land in Feindschaft liegt, oder genauer gesagt mit einem einzelnen Oberlord von Bragor-Nal. Ich kann einfach nichts tun. Ich kann mir nicht anmaßen, Durell vorzuschreiben, wie er sein Nal regiert und mit seinen Untergebenen umgeht, und ich würde es nicht hinnehmen, wenn er so etwas bei mir täte. Von Rechts wegen kann das nur im Rat geschehen, und wie ich bereits erklärt habe, wird das nicht passieren.«
»Denkst du, was Cedrych tut, würde Marar nicht stören?«, fragte Melyor. »Es betrifft auch sein Volk.«
»Marar ist ein Feigling und
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