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Die Chroniken von Amarid 05 - Der Adlerweise

Die Chroniken von Amarid 05 - Der Adlerweise

Titel: Die Chroniken von Amarid 05 - Der Adlerweise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David B. Coe
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einem niedergebrannten Feuer. Sein grauer Falke stieß einen leisen Ruf aus, und er kraulte ihm das Kinn. Der Vogel rief ein zweites Mal, und Nodin spürte, wie er eine Gänsehaut bekam. Er ist hier.
    Er hörte, wie Tammen nach Luft schnappte.
    »Dort«, flüsterte Henryk.
    Nodin wandte sich nach Osten, Tobyns Wald und dem sich nähernden Licht zu, und sah eine schimmernde Gestalt, die an den Überresten des Dorfes vorbei auf sie zukam. Er konnte erkennen, dass es sich um den Geist eines Mannes handelte, eines hoch gewachsenen Mannes mit einem großen Falken auf der Schulter und einem Stab in der Hand. Er und sein Vogel waren von einem hellgelben Schimmer durchdrungen, die Farbe von Sand, den das goldene Licht der untergehenden Sonne berührt. Als der Mann, oder genauer gesagt, als Sartols Geist näher kam, stellte Nodin fest, dass er nun mehr vom Gesicht erkennen konnte, genau wie bei Peredurs Geist ein paar Tage zuvor.
    Bei allem, was er über Sartols Leben wusste oder zu wissen geglaubt hatte, hatte Nodin erwartet, der Mann würde Furcht erregend aussehen. Immerhin hatte Sartol Peredur und die Eulenweise Jessamyn getötet und den Fremden bei ihren Angriffen geholfen. Er hätte keinen so gut aussehenden Mann erwartet wie den, der jetzt auf sie zukam, das dunkle Haar grau gesträhnt, die gemeißelten Züge vom Wetter gezeichnet wie die eines Seemanns. Der Geist lächelte und breitete freundlich die Arme zum Gruß aus, was seinem Ruf vollkommen widersprach. Nur seine Augen ließen Nodin stutzten. Sie leuchteten hell und intensiv wie Fackeln und machten es unmöglich zu erkennen, was hinter dem Lächeln lag. Es war bei Peredurs Geist ganz ähnlich gewesen, begriff Nodin, nur dass die Augen des Ersten von der Farbe her weißer gewesen waren. Aber in dieser Nacht hatte es ihn nicht so verstört, vielleicht, weil er Peredur als Kind gekannt hatte oder vielleicht, weil er so viel über Sartols böse Taten wusste.
    Er warf Tammen, die neben ihm stand, einen raschen Blick zu, konnte aus ihrer Miene aber wenig schließen. Sie beobachtete, wie Sartol auf sie zukam, und obwohl sie offensichtlich ein wenig zitterte, war ihr sonst nichts anzumerken. Henryk andererseits wirkte verängstigt, hatte die dunklen Augen weit aufgerissen und war kreidebleich geworden. Einen Augenblick lang schaute er Nodin an und schüttelte den Kopf, als wollte er ein letztes Mal sagen, dass dies keine gute Idee war. Dann wandten sie sich beide wieder dem Geist zu.
    Sie war wieder ein Kind, die Brandwunden an ihrem Hals schmerzten, ihr Gesicht war schmutzig von Tränen und Schweiß, und das Bild ihrer Eltern und Schwestern, die in Flammen aufgingen wie Holz in einer Feuerstelle, war auf ewig in ihren Geist eingebrannt. Sie konnte das Feuer riechen. Fleisch, Holz, ihr eigenes Haar. Alles schien zu brennen. Jemand trug sie auf dem Arm, lief so schnell, dass sie auf und ab hüpfte. Sie wusste, dass es ein Mann war, sie wusste allerdings nicht, wer.
    Aber plötzlich blieben sie stehen, trotz der Magier und schwarzen Vögel, die sie verfolgten. Denn vor ihnen standen zwei weitere Magier, einer schlank und mit schütterem Haar, der andere dunkelhaarig und kräftig gebaut wie ein Held aus einem von Cearbhalls Dramen. Und wie ein Held tat dieser Magier, was der andere nicht hatte tun wollen oder können: Er hielt seinen Stab vor sich ausgestreckt und beschwor ein strahlendes, hellgelbes Feuer herauf, mit dem er die Männer, die ihr Dorf zerstört und ihre Eltern getötet hatten, niederstreckte.
    Wieder und wieder sah sie es im Geist: wie sich das Feuer im letzten Augenblick gegabelt hatte, beide Angreifer zu Boden geworfen und sie in Flammen hatte aufgehen lassen. Sie konnte die Schreie der anderen hören - sie hörte sich selbst ebenfalls schreien, obwohl sie nicht wusste, warum -, und dann drängten sich alle um diesen Mann, drängten sich dicht an ihn, um ihm dafür zu danken, dass er sie gerettet und ihre Lieben gerächt hatte. Sie hatte diese Bilder in finsteren Träumen, aus denen sie schwitzend und atemlos erwachte, tausendmal gesehen. Aber nie waren sie so klar und vollständig gewesen. Denn niemals in all den Jahren seit dieser schrecklichen Nacht hatte sie diesen Mann wiedergesehen, diesen Helden, diesen hoch gewachsenen, kräftigen dunkelhaarigen Mann.
    Bis zu diesem Abend. Er schimmerte in einem weichen gelben Licht, als wäre er selbst magisches Feuer. Und der Vogel auf seiner Schulter war nicht die große Eule, an die sie sich aus Wasserbogen

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