Die Chroniken von Amarid 05 - Der Adlerweise
werden mag, ich habe dich auserwählt.
Jaryd kraulte ihr das Kinn, und dann blickte er wieder zu den Sternen auf. Der Schwindel ließ langsam nach, und er konnte über sich das Sternbild von Arick sehen, die Hand hoch erhoben, um das Land zu zerschlagen.
»Es wird Krieg geben«, flüsterte Jaryd, und er kam sich plötzlich schrecklich jung vor. »Und ich werde die Faust der Götter sein.«
Er war ein Wanderer. So war es immer gewesen, und er hatte wenig Zweifel daran, dass es auch für den Rest seines Lebens so sein würde. Das Leben der Nister war ihm nie sonderlich reizvoll vorgekommen - im Gegenteil, schon der Gedanke daran machte ihn unruhig. Er hatte in seinem Leben nur zwei Frauen kennen gelernt, die ihn vielleicht davon hätten überzeugen können, sich niederzulassen und eine Familie zu gründen. Eine von ihnen war nun die Frau seines besten Freundes, und die andere lebte hunderte von Meilen entfernt auf der anderen Seite von Aricks Meer, in einem so fremden Land, dass sogar die Sterne am Nachthimmel anders aussahen.
Jeder Magier im Land wusste, dass Alayna und Jaryd zusammengehörten. Die Götter hatten das klar gemacht, indem sie ihnen für ihre erste Bindung Vögel von derselben Art schickten. Und Orris hatte seinen besten Freunden niemals ihr Glück missgönnt, besonders nicht nach der Geburt ihrer wunderschönen Tochter.
Und was Melyor anging, die nun als die erste gildriitische Herrscherin in Lon-Sers Bragor-Nal regierte ... Orris war zu klug, um sich Hoffnungen auf sie zu machen. Trotz der schmalen Landenge, die die beiden Länder verband, lebten sie in vollkommen verschiedenen Welten. Es war egal, ob sie einander liebten. Sie hatten ihre Briefe, und Orris wusste, dass dies alles war, was ihnen im Augenblick blieb. Und obwohl er nie behauptet hätte, dass ihm die Briefe ausreichten, waren sie doch zumindest besser als nichts. Sie waren das Einzige, das Melyor gestattete, Anteil an seinem Leben in Tobyn-Ser zu haben.
Er nahm das als einen Teil des Preises hin, den er dafür zahlen musste, dass die Götter ihm Macht verliehen hatten, ebenso, wie er sich daran gewöhnt hatte, dass seine endlose Einsamkeit eine natürliche Folge seines Lebens als Wandermagier war. Niemand hatte ihn gezwungen, so zu leben; es war seine eigene Entscheidung gewesen. Und er hatte sich dem Orden und dem Land schon lange verpflichtet gehabt, bevor er sich in die Herrscherin von Bragor-Nal verliebte. Aber obwohl er zu den Entscheidungen stand, die er getroffen hatte, war ihm dennoch klar, dass er niemals erwartet hatte, so hektisch und rastlos umherreisen zu müssen wie in den letzten Jahren. Selbst in seiner Jugend, als er das Land der Länge und Breite nach durchwandert hatte, um den älteren Wandermagiern zu beweisen, dass er zäher war als sie, hatte er nicht so große Strecken so schnell zurückgelegt wie jetzt. Als junger Mann war er vielleicht von Arroganz und fehlgeleitetem Ehrgeiz getrieben worden, aber man hatte ihn nicht gejagt, so wie jetzt.
Manchmal kam es Orris so vor, als gäbe es keinen Ort, an dem er Ruhe finden konnte. Wohin er auch ging, die Magier der Liga von Amarid fanden ihn. Manchmal brauchten sie ein paar Tage, manchmal eine Woche. Aber immer war er am Ende gezwungen weiterzuziehen. Nur wenn er Jaryd und Alayna am Ufer der Südbucht besuchte, hatte er in den letzten Jahren ein wenig Frieden gefunden. Dort konnten ihn die Magier der Liga entweder nicht finden, oder, was wahrscheinlicher war, sie wagten es nicht, sich auch noch mit Jaryd und Alayna anzulegen. Aber so herzlich ihn seine Freunde auch immer willkommen geheißen hatten, Orris wollte ihnen nicht lange zur Last fallen. Sie mussten sich um Myn kümmern, und obwohl die Liga ihn bisher bei seinen Besuchen in Ruhe gelassen hatte, konnte er nicht garantieren, dass sie nicht beim nächsten Mal dreister sein würden.
Also verließ er sie für gewöhnlich nach drei oder vier Tagen wieder und machte sich erneut auf die Reise, wachsam nach jedem Anzeichen eines möglichen Angriffs Ausschau haltend. Er tat alles, was er konnte, um Konfrontationen zu vermeiden. Wenn er die Wahl zwischen einem Kampf und der Flucht hatte, entschied er sich unweigerlich für das Letztere. Zweifellos hatten die Magier der Liga eine Möglichkeit gefunden, ihre Angriffe gegen Orris mit ihrem Eid, sich an Amarids Gesetze zu halten, zu verbinden, aber Orris hatte geschworen, die Magie nicht gegen einen anderen Magier einzusetzen, und er hatte vor, nichts unversucht zu
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