Die Chroniken von Amarid 05 - Der Adlerweise
zitterten seine Hände vor Zorn.
Als er den Sprechschirm auf seinem Schreibtisch einschaltete, sah er sofort das Gesicht des Herrschers von Stib-Nal vor sich.
»Ah, endlich«, sagte Marar, und ein Lächeln breitete sich auf seinen knochigen Zügen aus. »Ich dachte schon, du würdest mich ignorieren.«
»Ich war mitten in einer Besprechung!«, entgegnete Premel erbost. »Ich dachte, wir hätten vereinbart, dass du dich nur spät in der Nacht mit mir in Verbindung setzen würdest.« Der Herrscher zuckte die schmalen Schultern mit ärgerlicher Gleichgültigkeit. »Ich musste mit dir sprechen«, sagte er. »Und ich würde vorschlagen, dass du auf deinen Ton achtest. Immerhin bin ich derjenige, der dich bezahlt.«
Premel starrte den Mann wütend an, sagte aber nichts. Diese ganze Geschichte machte ihn immer nervöser. Ja, die Bezahlung war hervorragend, aber die Risiken wuchsen zu rasch. Es hatte alles ganz unschuldig angefangen: die üblichen Informationen, logistische Einzelheiten, ein paar Worte über Waffentechnologie. Nichts davon war für seine eigene Sicherheit oder die seiner Freunde in der SiHerr sonderlich gefährlich gewesen. Aber dann begannen die Attentatsversuche. Premel hatte entweder unbewusst oder aus reiner Dummheit die Verbindung erst sehr spät hergestellt, aber als Marar begonnen hatte, ihm Fragen über die Reaktionszeiten der Sicherheitsleute auf die Angriffe zu stellen, konnte er das Offensichtliche nicht mehr ignorieren.
Selbst dann hatte er jedoch eine Möglichkeit gefunden, seinen Verrat und das Gold, das er ihm einbrachte, zu rechtfertigen. Melyor war eine Gildriitin; es gehörte sich einfach nicht, dass sie Bragor-Nal regierte. Man musste sich nur ansehen, was sie als Herrscherin getan hat, dann wurde es einem vollkommen klar. Das Nal-System hatte immer auf einer strengen Hierarchie beruht, die Kraft und Findigkeit belohnte. Es war gewalttätig, vielleicht sogar grausam gegenüber jenen, die zu schwach waren, um weiterzukommen. Aber es funktionierte. Es hatte seit Jahrhunderten funktioniert. Und Melyor wusste das genauso gut wie alle anderen, denn sie war der beste Nal-Lord gewesen, den Premel sich hatte vorstellen können. Aber dieser Stein hatte alles verändert. Er hatte sie zimperlich werden lassen. Ihre Anstrengung, die Gewalttätigkeit in den Blocks zu verhindern, hatte Bragor-Nal nur geschwächt. Und noch schlimmer, sie war ein schlecht beratenes und gefährliches Bündnis mit der Matriarchie von Oerella-Nal eingegangen, das drohte, die militärische und wirtschaftliche Vorherrschaft des Nal zu gefährden.
Als Marar Premel angewiesen hatte, den nächsten Attentatsversuch auf Melyor selbst zu arrangieren, hatte der Sicherheitsmann gezögert, aber nur kurz. Er tat es zum Besten des Nal, sagte er sich. Unter den alten Verhältnissen hätte ein schwacher Herrscher wie Melyor nicht lange überlebt. Wenn Bragor-Nal das stärkste Nal in Lon-Ser bleiben sollte, musste sie sterben.
Aber obwohl Premel schon längst seinen Frieden mit seiner Entscheidung gemacht hatte, Melyor zu verraten, belastete ihn sein Verrat an Jibb immer noch. Nach seiner Ansicht hätte Jibb Herrscher sein sollen. Der Sicherheitschef wusste, wie ein Nal funktionieren sollte, und er hätte nie zugelassen, dass Bragor-Nals Position in Lon-Ser derart geschwächt wurde. Nur seine unendliche Ergebenheit gegenüber Melyor hielt ihn davon ab, es offen auszusprechen. Und obwohl Premel nicht so recht verstand, wieso Jibb ihr gegenüber weiter loyal blieb, musste er den Mann sogar dafür bewundern. Jibb war eine einzigartige Mischung: Er war stark genug, um das Nal-System zu überleben, und dennoch ehrenhaft genug, um das Vertrauen und die Hochachtung der Männer zu verdienen, die unter ihm arbeiteten. Jibb wäre von Premels Verrat angewidert gewesen. Aber nach Premels Ansicht hatte Marar ihm eine Chance geboten, die Dinge wieder richtig zu stellen: Melyors Tod würde Jibb zum Herrscher machen.
Das Problem bestand darin, sein eigenes Ziel zu verfolgen und gleichzeitig Marar zufrieden zu stellen. Also hatte er sich zunächst entschlossen, die Arroganz des Herrschers zu ertragen. Wenn Jibb erst Herrscher wäre und Premel der Anführer der SiHerr, würden sie ihre Rache schon bekommen.
»Was kann ich für dich tun, Herrscher?«, fragte Premel nun also, so höflich er konnte.
Marar grinste. »Das ist schon besser.«
Premel wartete einfach ab und weigerte sich, auf diese Bemerkung zu reagieren.
»Ich habe nachgedacht,
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