Die Chroniken von Amarid 05 - Der Adlerweise
Premel«, erklärte Marar einen Augenblick später. »Dein Versagen neulich mag sich durchaus als vorteilhaft erweisen. Mein Versuch, Melyor umzubringen, war vielleicht ein wenig übereilt. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass sie im Augenblick für mich lebendig wertvoller ist als tot.«
Dein Versagen. Premel musste sich eine Entgegnung verkneifen. Es war nicht sein Fehler gewesen. Aus irgendeinem Grund, sei es, weil er zu betäubt gewesen war oder zu dumm, war der Attentäter vom Zeitplan abgewichen. Nicht sonderlich viel, aber es hatte genügt. Premel hatte mehrere Male versucht, das Marar zu erklären, aber der Mann weigerte sich einfach zuzuhören.
»Ich bin froh, das zu hören, Herrscher«, brachte Premel schließlich heraus. »Hast du dich deshalb mit mir in Verbindung gesetzt? Um mich ... ein wenig zu beruhigen?«
»Wohl kaum«, erwiderte Marar mit einem dünnen Lächeln. »Nein, ich habe etwas anderes für dich zu tun.«
Premel spürte, wie ihm die Farbe aus dem Gesicht wich. Wenn er nicht wollte, dass Melyor jetzt umgebracht wurde, was sonst konnte ...
»Ich will, dass du Jibb für mich erledigst.«
Premel starrte den Schirm an. »Das ist nicht dein Ernst«, flüsterte er schließlich.
»Ich neige nicht zu Scherzen, Premel.«
»Aber Jibb -« Die Stimme versagte ihm. »Warum Jibb?« »Aus verschiedenen Gründen«, erklärte Marar. »Irgendwann werde ich doch wollen, dass Melyor stirbt. Und zu diesem Zeitpunkt wird es viel leichter sein, sie zu töten, wenn Jibb nicht mehr an ihrer Seite ist. Außerdem weißt du genau, wenn Jibb je erführe, dass ich für Melyors Tod verantwortlich war, würde er dafür sorgen, dass ich ebenfalls sterbe.« Der Herrscher kniff die Augen zusammen. »Hast du ein Problem mit meinem Auftrag, Premel?«
Er befeuchtete sich die Lippen, aber es half nichts. Sein Mund war so trocken wie eine der breiten Blockhauptstraßen im Hochsommer. »Es könnte ... es könnte kompliziert werden, Jibb zu töten.«
Marar lachte leise. »Doch sicher nicht schwieriger, als Melyor zu töten.« Er runzelte die Stirn, obwohl nach wie vor Lächeln auf seinen Lippen lag. »Komm schon, Premel! Du solltest über diesen Auftrag froh sein. Du hast mir selbst gesagt, wenn Jibb jemals die SiHerr verließe, würdest du an seiner Stelle Chef der Sicherheitskräfte werden. Und hier ist jetzt deine Gelegenheit.«
Premel holte tief Luft, schloss kurz die Augen und verfluchte sich dafür, diesem Mann so etwas anvertraut zu haben. »Ich kann das nicht tun«, sagte er, als er die Augen wieder öffnete. »Jibb ist mein Freund. Er ist ein guter Mann.« Er wird einmal Herrscher sein. »Ich kann das nicht tun«, wiederholte er.
»Aber sicher kannst du«, sagte Marar nun entschiedener. »Du wirst es tun, und zwar bald.«
Premel schluckte und fragte dann. »Und wenn ich mich weigere?«
»Das kann ich mir nicht vorstellen«, erklärte der Herrscher. »Ich denke, dir ist viel zu klar, was Jibb und Melyor mit dir machen würden, wenn sie von deinem Verrat erführen.« Premel setzte dazu an, etwas zu sagen, aber er stellte fest, dass ihm nichts einfiel. Zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren war ihm danach zu Mute zu weinen.
»Im Leben geht es immer um Entscheidungen, mein Freund«, sagte Marar, obwohl Premel ihn kaum hören konnte. »Vor einiger Zeit hast du den Wohlstand gewählt. Du musst gewusst haben, dass eine solche Wahl dich teuer zu stehen kommt. Du hast im Grunde Glück. Du wirst nicht nur das Gold bekommen, sondern auch Macht. Die SiHerr wird dir gehören. Wenn man das bedenkt, ist Jibbs Leben doch sicher ein relativ geringer Preis.«
Premel starrte seinen Schreibtisch an - er konnte es einfach nicht ertragen, dem Herrscher in die Augen zu sehen - und schwieg.
»Betrachte es als eine Chance, dich zu bewähren«, fuhr Marar fort. »Ich erwarte von dir in den nächsten Tagen zu hören, dass du den Auftrag erledigt hast.«
In Premels Kopf schien ein Sturm zu toben. Marars Worte klangen, als kämen sie aus weiter Ferne. Aber er zwang sich zu nicken. Der Herrscher würde zumindest so viel erwarten.
»Und versage nicht noch einmal, Premel. Oder ich werde gezwungen sein, deine Rolle bei den Attentaten zu enthüllen und einen anderen Mann in der SiHerr zu finden, der die Aufträge, die ich ihm gebe, verlässlicher ausführt.« Einen Augenblick später war das knochige Gesicht des
Herrschers vom Schirm verschwunden, aber Premel blieb sitzen, unfähig, auch nur die Energie aufzubringen, um seinen
Weitere Kostenlose Bücher