Die Chroniken von Amarid 05 - Der Adlerweise
und enttäuscht. »Und wer soll uns sonst helfen? Wie sonst können wir gegen die Waffen aus Lon-
Ser und die vielen Magier im Orden und in der Liga bestehen?«
Henryk wandte den Blick ab. »Ich weiß es nicht. Aber das hier ist wahnsinnig! Es ist zu gefährlich!«
»Du gibst also zu, dass du Angst hast.«
»Ja«, gestand Henryk und sah sie wieder an. »Ich habe Angst. Ich habe Angst vor den Unbehausten. Und am meisten fürchte ich mich vor Sartol.«
»Und du bist bereit zuzulassen, dass die Bewegung wegen deiner Angst untergeht.«
Das war eine Feststellung, keine Frage, und obwohl Henryk sich wieder abwandte, widersprach er ihr nicht.
»Und was ist mit dir?«, fragte Tammen nun Nodin. »Hast du ebenfalls Angst?«
Wie schon zuvor in Prannai? Selbstverständlich sprach sie es nicht aus. Das war nicht notwendig. Nodin hörte die Andeutung in ihrer Stimme, sah die Herausforderung in ihren grauen Augen. Er warf Henryk einen Blick zu und bemerkte, dass sein Freund ihn beobachtete. Der Blick des dunkeläugigen Magiers war nicht weniger eindringlich als Tammens Blick. Es würde nicht leicht sein, einen Kompromiss zu finden, den beide akzeptieren konnten.
Zum Glück hatte ihm Henryk, wahrscheinlich ohne es zu wollen, eine Möglichkeit gegeben. »Ich glaube ebenso wie Henryk, dass man Sartol nicht trauen darf«, sagte er. »Es wäre einfach zu gefährlich. Aber«, fügte er rasch hinzu, als er sah, wie Tammen angewidert das Gesicht verzog, »ich will die Idee, die Hilfe der Unbehausten zu suchen, nicht vollkommen abtun. Ich erwarte nicht, dass sie uns helfen, aber wir müssen etwas unternehmen.« Er zuckte die Achseln. »Vielleicht werden sie uns ja überraschen.« »Also gut«, sagte Tammen widerwillig. »Aber wenn nicht Sartol, wer dann?«
»Ich hatte das vergessen, bis Henryk erwähnte, dass Sartol die Weise und ihren Ersten getötet hat«, erwiderte Nodin. »Der Erste war doch ein Mann namens Peredur, oder? Und er war ungebunden, als er starb. Er hat seinen ersten Vogel am Westrand von Tobyns Wald gefunden. Das ist nur sechs oder sieben Tage von hier entfernt, wenn wir uns beeilen.«
»Woher weißt du das?«, fragte Henryk.
»Ich bin nicht weit von dort aufgewachsen«, sagte er. »Peredur und mein Vater waren Freunde.«
»Also wird er dich vielleicht anhören?«
»Das mag sein. Es kann jedenfalls nichts schaden, es zu versuchen.« Nodin warf Tammen einen Blick zu. »Ich glaube, es gibt auch ein paar freie Dörfer in der Gegend. Vielleicht stehen sie der Bewegung aufgeschlossen gegenüber. Selbst wenn Peredur uns nicht helfen wird, wird der Weg nicht ganz umsonst sein.« Es klang flehentlicher, als er beabsichtigt hatte, aber zu diesem Zeitpunkt war ihm das egal. Trotz allem, was zwischen ihnen vorgefallen war, wollte er Tammen immer noch nicht verlieren.
»Im Westen, sagst du?«, fragte sie, offenbar zerstreut. Er nickte. Dann sagte er »Ja«, weil er bemerkte, dass sie ihn nicht angesehen hatte.
»Nahe der Nordebene?«
»Keine zwei Meilen von der Ebene entfernt. Kennst du die Stelle?«
Tammen schüttelte den Kopf. »Nein.« Einen Augenblick später schüttelte sie den Kopf ein zweites Mal, als wollte sie ihre Gedanken klären. »Also gut«, sagte sie. »Wir sprechen mit Peredur.« Sie lächelte ihn an. Sie lächelte! »Es ist eine gute Idee.«
Nodin erwiderte das Lächeln - er hätte es kaum verhindern können -, und dann wandte er sich seinem Freund zu. »Henryk?«
Henryk sah erst Nodin und dann Tammen an, einen grimmigen Blick in den dunklen Augen. »Das gefällt mir nicht«, sagte er. »Ich werde es tun, aber es gefällt mir nicht.« Nodin nickte, immer noch lächelnd. »Gut.« Henryks Angst war wahrscheinlich wohl begründet, aber er konnte sich im Augenblick nicht dazu zwingen, daran zu denken. Sie hatten einen Plan, der sie noch eine Weile zusammenhalten würde. Und Tammen hatte ihn angelächelt.
Jaryd, Alayna und Myn erreichten spät am Morgen eine Stelle, von der aus sie zum ersten Mal einen Blick auf Amarid werfen konnten. Es war ein Felsvorsprung im Vorgebirge der Parnesheimberge, und von dort sah die Stadt des Ersten Magiers aus wie ein Flickenteppich in Weiß, Grau und Grün. Die Kristallstatuen auf der Großen Halle glitzerten im Sonnenlicht, und weiter in der Ferne schimmerten die weißen und blauen Türme der Halle der Liga von Amarid wie Messerklingen.
Sie hätten nur noch ein paar Stunden gebraucht, um die Große Halle zu erreichen, aber Jaryd und Alayna hielten es für besser, bis
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