Die Chroniken von Amarid 05 - Der Adlerweise
fuhr zu ihm herum. »Wenn ich von dir auch nur noch ein einziges Wort höre ... « Sie hielt inne. Das hier würde sie nirgendwo hinführen.
»Was dann, Tammen?« Henryk war aufgesprungen. Auch Nodin hatte sich jetzt erhoben. »Hört auf damit.« »Nein«, sagte Henryk. »Ich habe genug davon, dass sie mir das Gefühl gibt, ein Feigling zu sein. Ihr habt also keine Angst vor den Unbehausten«, sagte er, als sei das eine Tatsache. »Überhaupt keine.«
Tammen begegnete seinem Blick, so gut sie konnte. »Ich bin hier, weil ich glaube, dass die Bewegung Hilfe braucht«, sagte sie schließlich. »Das ist alles, was zählt. Ob ich Angst habe oder nicht, ist ohne Bedeutung.«
»Und was ist mit dir?«, fragte Henryk Nodin. »Hast du auch keine Angst?«
Nodins Blick zuckte kurz zu Tammen. »Wie sie schon sagte«, erklärte er leise. »Das Wichtigste ist, dass die Bewegung Hilfe braucht.«
Henryk wandte sich ab. »Ja, richtig. Die Bewegung.« Einen Augenblick später drehte er sich wieder um, als wollte er noch etwas sagen, aber in diesem Moment begann ein seltsames perlfarbenes Licht im Wald zu schimmern wie Fackellicht im Küstennebel.
Die drei Magier wandten sich dem Licht zu und alle schwiegen. Tammens Herz klopfte so heftig, dass sie glaubte, es hören zu können, und ihr Magen fühlte sich kalt und schwer an. Selbst Othba, ihr wunderschöner brauner Falke, der für gewöhnlich so gefasst auf ihrer Schulter saß, stieß einen leisen Ruf aus und grub die Krallen in Tammens Schulter.
Als das Licht näher kam und heller wurde, konnte Tammen in dessen Mitte eine Gestalt erkennen. Es war ein hoch gewachsener, schlanker Mann, und er bewegte sich mit schnellen, zielgerichteten Schritten. Er hatte einen Stab in der rechten Hand, und als er noch näher kam, sah Tammen, dass er einen kleinen Waldfalken auf der Schulter trug. Seine Augen waren so hell wie Sterne, und sein Gesicht war zwar von Falten durchzogen und von weißem Haar gerahmt, aber es wirkte auch irgendwie jung, als hätte das Licht, das aus ihm herausleuchtete, die Jahre vertrieben. Er blieb vor den drei Magiern stehen und sah sie kühl an. Als sein Blick auf ihr ruhte, hatte Tammen das Gefühl, als durchzöge sie ein kalter Wind bis ins Herz. Dann wandte die Erscheinung sich Nodin zu, und Tammen gestattete sich, wieder zu atmen.
»Du bist Prins Sohn, nicht wahr?«, sagte der Geist mit einer Stimme, die klang wie hoher Wind in den Baumwipfeln. »Ja, Erster«, antwortete Nodin bleiern und ungelenk. »Ich heiße Nodin. Und meine Begleiter sind Falkenmagierin Tammen und Falkenmagier Henryk. Wir fühlen uns durch diese Begegnung sehr geehrt.«
Peredur sah erst Henryk und dann Tammen an, dann wandte er sich wieder dem hoch gewachsenen Magier zu. »Wo sind eure Umhänge?«
Nodin schluckte und warf seinen Begleitern einen Blick zu. »Wir tragen keine Umhänge, Erster. Wir sind freie Magier.«
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte der Geist und kniff die hellen Augen zusammen.
»Es bedeutet«, warf Tammen ein, »dass wir weder zum Orden noch zur Liga gehören. Wir dienen einfach nur dem Volk.«
Der Geist spießte sie mit seinem Blick auf. »>Wir dienen einfach nur dem Volk<«, äffte er sie nach. »Was glaubst du wohl, was ich zweiundfünfzig Jahre lang getan habe? Und ich war Mitglied des Ordens!«
»Ja, Erster«, sagte Nodin rasch. »Selbstverständlich.« »Und wozu in Aricks Namen braucht das Land nun freie Magier?«
Nodin warf Tammen einen raschen Blick zu, bevor er antwortete. »Vielleicht hast du von der Fehde zwischen der Liga und dem Orden gehört«, sagte er.
Der Geist verzog das Gesicht. »Ja. Das ist alles Unsinn.« »Uns kommt es genauso vor«, sagte Tammen und gestattete sich ein zaghaftes Lächeln. »Wie können Magier dem Land dienen, wenn sie so sehr damit beschäftigt sind, einander zu befehden?«
Peredur betrachtete sie skeptisch, als gefiele ihm die Tatsache, mit ihr einer Meinung zu sein, nicht so recht. »Weiter.« Tammen zuckte die Achseln. »Wir haben einen anderen Weg gefunden. Wir dienen dem Land, aber wir nehmen keinen Anteil an den Streitereien.«
»Und wer überwacht Leute wie euch?«, fragte der Geist.
»Wer sorgt dafür, dass keiner von euch gegen Amarids Gesetze verstößt?«
»Wir tun das gegenseitig«, antwortete Tammen. »Genau wie beim Orden und der Liga.«
Der Geist des Eulenmeisters trat einen Schritt vor. »Das genügt nicht! Ihr bildet keine offizielle Körperschaft, also habt ihr keine Methode, um Strafen zu
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