Die Chroniken von Amarid 05 - Der Adlerweise
kannst nicht einfach davon ausgehen, dass eure Regeln auch für uns gelten.«
»Und dennoch -«
»Nein«, sagte sie und schüttelte heftig den Kopf. »Du begreifst das nicht! Selbst als seine Eule gestorben ist, ist es ihm gelungen, Erster Meister zu bleiben. Der Adler hat nichts zu bedeuten. Deshalb bin ich zuerst hierher gekommen. Meine einzige Hoffnung bestand darin, dass ich zum Konklave gehen könnte, nachdem ich bereits Oberhaupt des Ordens war.«
»Nun, das wird offensichtlich nicht der Fall sein«, warf Alayna ein.
Cailin nickte. »Das verstehe ich.«
»Also musst du eine andere Möglichkeit finden.«
»Hast du mir überhaupt zugehört?«
Alaynas dunkle Augen blitzten zornig. »Selbstverständlich. Aber du bist kein Kind mehr, Cailin. Du bist eine Magierin, die sich an einen Adler gebunden hat. Und damit trägst du erhebliche Verantwortung. Die Götter haben dich auserwählt, also sind sie wohl der Ansicht, dass du für diese Aufgabe geeignet bist. Der Rest bleibt dir überlassen.«
Cailin starrte sie lange wortlos an. »In dem, was du da sagst, liegt vielleicht einige Wahrheit«, erklärte sie schließlich. »Vielleicht sogar mehr, als mir lieb ist. Aber du kannst dir wohl vorstellen, dass ich niemals die Gelegenheit hatte, ein Kind zu sein.«
Die beiden Frauen starrten einander längere Zeit an, bevor sich Alayna schließlich abwandte.
»Ich werde tun, was ich kann«, sagte Cailin eisig. Sie schaute Jaryd an. »Arick behüte dich, Adlerweiser. Ich hoffe, wir können zusammenarbeiten, bevor das alles hier vorüber ist.« »Leb wohl, Cailin«, erwiderte Jaryd. »Wenn wir dir irgendwie helfen können, lass es uns wissen.«
Cailin nickte und ging. Jaryd und Alayna blieben schweigend stehen und lauschten, wie Cailins Schritte von der Kuppeldecke des Versammlungssaals widerhallten. Als die junge Frau die Halle schließlich verlassen hatte, wandte sich Alayna ihrem Mann zu und sah ihn grimmig an. »Ich hätte sie nicht so bedrängen dürfen.«
Jaryd zuckte die Achseln. »Das ist schwer zu sagen. Sie ist so jung.«
»Wir waren auch nicht älter, als wir in den Hain gegangen sind.«
»Ich weiß«, sagte er mit einem Lächeln. »Erinnerst du dich noch, wie jung wir damals waren?«
Alayna lachte leise, aber sie wurde rasch wieder ernst. »Wenn ich Recht habe und wir diesen Feind nicht allein besiegen können, muss sie eine Möglichkeit finden, sich über Erland hinwegzusetzen.« »Ja«, sagte Jaryd und nickte. »Und als Magier des Ordens können wir ihr dabei überhaupt nicht helfen.«
»Das hier gefällt mir nicht«, sagte Henryk, und das scheinbar zum tausendsten Mal. »Das hier gefällt mir überhaupt nicht.«
Tammen sah ihn einen Augenblick lang an, dann wandte sie sich wieder der Baumgruppe vor ihnen zu. »Das hast du uns bereits mitgeteilt«, erwiderte sie verächtlich. »Wenn du gehen willst, werde ich dich nicht aufhalten.«
Der dunkeläugige Magier verlagerte geringfügig das Gewicht, aber er blieb, wo er war. Tammen war nicht sicher, ob sie erleichtert oder enttäuscht sein sollte.
Sie befanden sich am Westrand von Tobyns Wald, kaum einen Tagesmarsch von der Nordebene entfernt, und wenn Nodin Recht hatte, war dies hier der Ort, an dem sich Peredur, der Erste der Weisen, vor über sechzig Jahren an seinen ersten Vogel gebunden hatte. Aber bisher hatten sie noch keine Spur von dem unbehausten Geist des Eulenmeisters entdecken können.
»Bist du sicher, dass dies die richtige Stelle ist?«, fragte sie Nodin und begegnete dabei kurz seinem Blick, den er in der letzten Zeit offenbar ununterbrochen auf sie gerichtet hatte. Er runzelte die Stirn. »Das dachte ich zumindest. Es ist lange her, seit ich in diesem Teil des Waldes war. Ich weiß, dass wir in der Nähe sind, aber es ist vielleicht nicht genau die Stelle, die ich meinte.«
Sie verdrehte die Augen und erhob sich von dem umgestürzten Baumstamm, auf dem sie seit der Dämmerung gesessen hatten. »Und wann hattest du vor, das zu erwähnen?« »Es war mir gerade erst aufgefallen, als du gefragt hast«, antwortete er defensiv.
Sie schnaubte. »Also müssen wir weiterziehen?«
Nodin sah sich um, und die Unsicherheit stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. »Ich weiß es nicht«, gab er zu. »Ich glaube nicht, dass wir weit von der Stelle entfernt sind, aber -«
»Aber du weißt es nicht sicher?«
»Das war von Anfang an keine gute Idee«, warf Henryk ein und schüttelte den Kopf. »Wir sollten einfach -« »Henryk!«, rief Tammen und
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