Die Chroniken von Amarid 05 - Der Adlerweise
der Unbehausten, damit ihr der Macht der Liga und des Ordens und den Waffen des Tempels etwas entgegenzusetzen habt. Das ist alles, worum es euch geht. Diesem Land stehen Gewalt und Aufruhr bevor. Und eure kleine Bande freier Magier wird alles nur noch schlimmer machen. Selbst wenn ich euch helfen könnte, würde ich es nicht tun.«
»Selbst wenn du könntest?«, wiederholte Tammen. »Was soll das bedeuten?«
»Es bedeutet, dass die Unbehausten wenig Einfluss auf eure Welt haben. Es gibt tatsächlich kaum etwas, was ich ohne die Hilfe der anderen Unbehausten für euch tun kann, und seit Sartol einer von uns ist, ist es vollkommen unmöglich geworden, gemeinsam zu handeln.«
»Du kannst also nichts tun? Es gibt keine Möglichkeit für einen unbehausten Magier, auf unsere Welt Einfluss zu nehmen? Ich glaube dir nicht.«
»Glaub, was du willst«, sagte der Geist. »Die Wege zur Macht, die einem einzelnen unbehausten Magier offen stehen, werde ich nicht gehen. Wenn ihr von einem von uns Hilfe wollt, müsst ihr sie anderswo suchen.« Tammen verkniff sich ein Lächeln. Das war die Bestätigung, nach der sie gesucht hatte. Es gab eine Möglichkeit, und hier am Nordwestrand des Gotteswaldes waren sie nur ein paar Tagesmärsche von dieser Möglichkeit entfernt. »Und jetzt lasst mich allein«, befahl Peredur. »Ich möchte nicht mehr gestört werden.«
»Aber Erster«, flehte Nodin. »Wir brauchen eure Hilfe. Das Land braucht eure Hilfe.«
»Ich habe dem Land gedient«, sagte der Geist und wandte sich ab. »Mehr als ein halbes Jahrhundert lang habe ich die Menschen geschützt, habe sie geheilt, habe ihre zerbrochenen Zäune und ihre Häuser repariert. Und ich habe es immer mit gutem Gewissen getan, denn ich wusste, als Mitglied des Ordens folgte ich Amarids Fußstapfen.« Noch einmal wandte er sich ihnen zu, und seine Augen schienen irgendwie heller zu strahlen, als wären sie Cerylle und als hätte er ein intensiveres Licht heraufbeschworen. »Ich werde im Tod nichts tun, was meinem Leben treuen Dienens widerspricht. Ganz bestimmt nicht euretwillen.« Wieder wandte er sich ab und ging davon, und diesmal drehte er sich nicht mehr um.
Sie sahen ihm nach, sahen, wie der perlige Schimmer wie Nebel im Dunkeln verschwand, bis sie wieder allein waren und das einzige Licht im Wald von ihren Ceryllen stammte. Tammen hatte das Gefühl, als löste sich etwas in ihrer Brust, als der Geist zwischen den Baumstämmen und Ästen verschwand, und nicht zum ersten Mal fragte sie sich, ob sie im Stande sein würde das zu tun, was sie tatsächlich in diesen Teil von Tobyn-Ser geführt hatte.
»Was jetzt?«, fragte Henryk und fuhr sich mit der Hand durch die dunklen Locken.
Nodin zuckte die Achseln. Er wirkte müde und geschlagen. »Ich weiß es nicht. Es gibt ein paar freie Dörfer in dieser Gegend. Wir sollten vielleicht sehen, ob wir sie der Bewegung zuführen können.« Er spähte in die Richtung, in die der Geist gegangen war. »Ich hatte wirklich geglaubt, dass er uns helfen würde. Erst seit heute Abend«, fügte er mit einem Blick zu Tammen und Henryk hinzu. »Denn als er sagte, die Fehde zwischen der Liga und dem Orden sei Unsinn, habe ich gedacht, es könnte vielleicht funktionieren.« »Und was, wenn es funktioniert hätte?«, fragte Henryk. »Glaubst du wirklich, wir drei wären im Stande, die Unbehausten zu beherrschen und sie zu benutzen, als wären sie eine Waffe?«
»Ich habe nicht nach einer Waffe gesucht«, antwortete Nodin, »sondern nach einem Verbündeten. Und wenn du so wenig an das glaubst, was wir tun wollten, hättest du vielleicht nicht mitkommen sollen.«
Henryk wich zurück, als hätte man ihn geschlagen, und er wurde rot. Er blieb einige Zeit lang schweigend stehen, dann drehte er sich auf dem Absatz um und ging davon.
»Henryk!«, rief Nodin hinter ihm her. »Ich wollte nicht...«Er brach ab. Henryk würde nicht zurückkommen, zumindest nicht heute Nacht. Er schaute Tammen an und schüttelte den Kopf. »Ich hätte das nicht sagen dürfen.«
»Das ist doch egal«, erwiderte sie. Tatsächlich war sie froh, dass Henryk gegangen war. Was sie als Nächstes tun mussten, würde ohne Henryk, der sich dagegen aussprach, vielleicht einfacher werden.
»Was sollen wir jetzt tun? Es gibt freie Dörfer im Süden und im Westen.«
»Ich denke, wir sollten nach Norden gehen«, sagte sie. »Nach Norden? Warum?«
Sie holte tief Luft. »Peredur ist nicht der einzige unbehauste Magier in dieser Gegend. Und es ist
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