Die Chroniken von Amarid 05 - Der Adlerweise
anzuerkennen.
Nachdem sie eine geschützte Lichtung am Ufer des Larian erreicht hatte, machte Cailin Rast und setzte sich auf einen Felsen. Rithel landete neben ihr auf dem Boden, und Cailin beugte sich vor, um dem Vogel das Kinn zu kraulen. Sie holte ein Stück trockenes Brot und Käse aus dem Umhang und begann zu essen. Aber bevor sie auch nur den zweiten
Bissen heruntergeschluckt hatte, hörte sie, wie eine Männerstimme ihren Namen rief.
Cailin stand auf, und ihr Blut war plötzlich wie das Eiswasser, das neben ihr über Stein und Geröll plätscherte.
Ich habe mich wieder gebunden, erinnerte sie sich. Ich mag allein sein, aber ich habe nichts zu befürchten. Einen Augenblick später kam ein Ceryll in Sicht, und dann sein Besitzer.
»Cailin«, rief Stepan abermals.
Sie dachte daran, sich tiefer in den Wald zurückzuziehen. Selbst wenn sie Stepan vertraut hätte, sie hatte im Augenblick kein Bedürfnis, mit ihm zu sprechen. Aber sie war nun Adlermeisterin und er ein Mitglied der Liga. Sie hatte eine gewisse Verantwortung. Also hob sie den Stab über den Kopf und ließ den goldenen Ceryll heller leuchten.
Kurze Zeit später stand er vor ihr, immer noch schwer atmend. Selbst wenn das rötliche Licht seines Steins sein schwitzendes Gesicht nicht zum Glänzen gebracht hätte, hätte der ältere Mann erschreckend rot ausgesehen. Er beugte sich mit offenem Mund vor, als versuche er, Atem zu holen. Wenn er gekommen war, um sie zu töten, würde er sich vorher erst einmal ausruhen müssen.
»Was willst du hier, Stepan?«
Rithel hüpfte vorwärts, bis sie direkt neben Cailin stand, und stieß ein leises Zischen aus. Stepans kleine Eule zischte in Erwiderung zurück.
Der Eulenmeister richtete sich auf und bedachte sie mit einem kühlen Blick. »Ich möchte mit dir sprechen.«
Ich glaube dir kein Wort, hätte sie am liebsten gesagt. Und selbst wenn ich es täte, würde ich immer noch nicht hören wollen, was du zu sagen hast. »Worüber?« »Du bist die Dinge heute wirklich schlecht angegangen. Du hättest Erland nicht so herausfordern dürfen.«
»Ah, ich verstehe«, sagte Cailin und nickte. »Du bist als Erlands Lakai hier.«
Der Eulenmeister lächelte dünn. »Wohl kaum. Wenn Erland wüsste, dass ich hier wäre, wäre er wohl... enttäuscht.« Sie sah ihn skeptisch an.
»Du glaubst mir nicht?«
»Warum sollte ich?«
Er gestand ihr das mit einem Schulterzucken zu. Sie standen einander schweigend gegenüber. Stepan beobachtete Cailin mit undurchdringlicher Miene. Schließlich holte sie tief Luft.
»Also gut, Stepan«, sagte sie tonlos. »Was hätte ich anders machen sollen?«
Er zeigte auf die Steine am Ufer. »Setzen wir uns hin.« Sie regte sich nicht, und nach einiger Zeit schüttelte er den Kopf. »Wie du willst, aber ich habe vor, mich hinzusetzen.«
Er ging zum Fluss und ließ sich vorsichtig auf einem der großen Steine nieder. »Du bist jetzt schon seit einiger Zeit Magierin, Cailin, und von Anfang an hast du zur Liga gehört. Wir alle wissen, dass du etwas Besonderes bist, wir alle wissen, dass deine Weisheit weit über dein Alter hinausreicht. Aber du musst immer noch viel darüber lernen, wie du deinen Einfluss und deine Autorität besser einsetzen kannst.«
»Achja?«
»Du hast heute eine Gelegenheit verpasst. Du hast dich an einen Adler gebunden und warst vernünftig genug, das bis zu deinem Eintreffen in der Halle zu verbergen. Aber dann hast du deinen Vorteil aufgegeben, indem du sofort verlangt hast, dass wir zwischen dir und Erland wählen.« Sie starrte ihn an, denn sie konnte nicht glauben, was sie da hörte. »Und was hätte ich tun sollen?«, fragte sie.
»Du hättest denen, die dich vielleicht unterstützt hätten, eine Chance geben sollen, dir zu helfen.«
»Das verstehe ich nicht.«
Er senkte den Blick und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Du weißt, was Erland uns bedeutet«, sagte er und sah sie schließlich wieder an. »Keiner von denen, die ihm aus dem Orden gefolgt sind, wird je etwas tun, das ihn in Verlegenheit bringen oder ihm wehtun würde.«
»Darum habe ich auch nicht gebeten.«
»Doch, Cailin, das hast du. Und ich verstehe auch, warum. Er hat dich im vergangenen Jahr nicht gut behandelt.« Wieder wandte er den Blick ab. »Das haben wir alle nicht getan. Aber nachdem du deinen Anspruch, Oberhaupt der Liga zu werden, zu einem Angriff auf Erland gemacht hast, wurde es für uns andere unmöglich, dich zu unterstützen. Um ehrlich zu sein, hattest du Glück,
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