Die Chroniken von Amarid 05 - Der Adlerweise
Krallen bewirkte, dass Cailin das Gesicht verzog.
Erland stand am anderen Ende des langen Versammlungstischs und sprach zu den übrigen Magiern, ein breites Grinsen auf dem rosigen Gesicht. Er war groß und hielt sich immer noch aufrecht wie ein junger Mann, so dass sein silberfarbener Bart und das weiße Haar ihn nicht älter aussehen ließen, sondern ihm eher etwas Königliches verliehen. Trotz allem, was er ihr angetan hatte oder was sie von seinen Entscheidungen als Oberhaupt der Liga hielt, konnte Cailin nicht abstreiten, dass er genauso aussah und klang, wie man es von einem Ersten Meister erwartete. Sie spürte, wie sie zu zittern begann, und musste sich anstrengen, sich zu beruhigen. In diesem Augenblick war sie sich intensiv ihrer eigenen Jugend und ihrer zierlichen Gestalt bewusst. Ich habe mich an einen Adler gebunden, erinnerte sie sich. Die Götter haben beschlossen, dass ich Oberhaupt der Liga werden soll.
»Cailin!«, sagte Erland und machte eine einladende Geste.
Alle anderen Magier wandten sich ihr ebenfalls zu. »Wie schön, dich zu sehen! Wir hatten uns bereits gefragt, ob du überhaupt vorhattest zu erscheinen.«
Sie setzte zu einer Erwiderung an, aber bevor sie etwas sagen konnte, bemerkte sie, wie Erland die Augen aufriss. »Ich sehe, du hast dich auch wieder gebunden. Großartig! Wir hatten von Marcrans Tod gehört, aber wir wussten nicht -«
Er hielt abrupt inne, und Cailin bemerkte zufrieden, wie er kreidebleich wurde.
Sie ging näher zum Tisch, während lautes, aufgeregtes Flüstern den Raum erfüllte.
Erfand schwieg immer noch, aber schließlich stand Arslan auf, und das Sonnenlicht, das durch ein Fenster hereinfiel, ließ sein rotes Haar wie eine Flamme aussehen. »Du hast dich an einen Adler gebunden!«, sagte er staunend.
Cailin lächelte. Von allen Magiern der Liga war Arslan am freundlichsten zu ihr gewesen, hatte sie häufig ermutigt, als Erland immer barscher geworden war, und hatte sie offen verteidigt, wenn andere ihre Loyalität in Frage stellten. »Ja«, antwortete sie. »Sie heißt Rithel, und sie ist vor vier Wochen zu mir gekommen.«
Vawnya, eine der jüngeren Magierinnen, stand ebenfalls auf und betrachtete Cailin und Rithel staunend. »Die Götter haben uns eine Adlerweise geschickt!«
»Das ist ein Ordensbegriff!«, verkündete Erland streng. »Dann eben eine Adlermeisterin«, erwiderte Vawnya. »Es ist immer noch ein Wunder.«
Erland betrachtete Cailin skeptisch. »Stimmt das?«, fragte er. »Oder ist das ein Trick?«
»Also gut, Erland.« Cailin konnte sich nicht bremsen. »Es ist ein Trick. Sie ist nicht wirklich meine Vertraute, sie ist nur ein Vogel, den ich auf meinen Arm gelockt habe, um ein wenig Unruhe zu stiften.«
»Ein solcher Tonfall tut weder dir noch dieser Liga gut, Magierin.«
Sie warf ihm einen zornigen Blick zu. Er hatte sie lange genug wie ein Kind behandelt. »Mein offizieller Titel lautet Adlermeisterin, Erland.«
»Und mein offizieller Titel lautet Erster Meister! Das solltest du lieber nicht vergessen!«
»Ich habe es nicht vergessen, aber es könnte sein, dass deine Zeit als Erster Meister zu Ende geht.«
Der weißhaarige Mann kniff die Augen zusammen. »Was soll das heißen?«
Cailin sah sich in dem großen Saal um und hoffte, dass sich jemand ihrer Sache anschloss; sie wollte es nicht allein tun. Aber niemand schien ihr helfen zu wollen. Selbst Arslan wich ihrem Blick aus. Sie war erst einen Augenblick hier, aber es schien, als hätte sie ihren Anspruch bereits zu weit getrieben. Sie dachte kurz an ihr Gespräch mit dem Adlerweisen und seiner Ersten in der Nacht zuvor. Wenn sie sie jetzt nur sehen könnten, dann würden sie verstehen, was sie versucht hatte, ihnen über die Liga zu sagen!
»Das soll heißen«, verkündete sie schließlich, »dass jeder Magier in diesem Saal weiß, was es bedeutet, wenn die Götter uns einen Adler schicken. Uns steht ein Krieg bevor, und es fällt demjenigen, der sich an den Adler gebunden hat, zu, Tobyn-Ser in diesen Krieg zu fuhren.«
Das war nicht ganz richtig, das wusste sie, aber ihre einzige Hoffnung bestand darin, dass Erland den Köder schnappen würde, den sie ihm vor die Nase hielt.
»Wir hatten seit über vierhundert Jahren keinen Adlerweisen mehr«, sagte Stepan, einer der leidenschaftlichsten Anhänger Erlands unter den alten Meistern. »Das Auftauchen eines Adlers hat vielleicht gar nichts mehr zu bedeuten.« Arslan schüttelte den Kopf. »Das glaubst du doch nicht wirklich,
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